Return of the Tüdelband
 
Tüdelband
Return of the Tüdelband
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Wo war bloß der Jung’ mit dem Tüdelband?

Wie ein kleines Hamburger Lied wiederentdeckt wird und dabei Geschichte erzählt

Von Thomas Winkler DIE ZEIT - 47/2003

Ein Lied, ein Liedchen, eine Melodie nur. Aufgeschnappt an der Ecke, mitgeträllert oder auch gegrölt, als vieltausendstimmiger Chor im Stadion des FC St. Pauli. Ein paar Töne, ein paar Worte, die sich eingebrannt haben ins Unterbewusstsein der Stadt: Jeder in Hamburg kennt das Lied vom Jung mit dem Tüdelband, jeder weiß es mitzusummen, aber kaum einer kennt die Geschichte, die es erzählen kann.

Das Lied auf den „Hamborger Jung“, der in der einen Hand ein „Bodderbrot mit Käs“ hält, während er per Stock einen Metallreifen, das Tüdelband, übers Kopfsteinpflaster treibt, stammt von Ludwig Isaac, der aus einer jüdischen Familie von Sängern und Revuestars stammte. Als Gebrüder Wolf nahmen die Isaacs zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als 60 Schallplatten mit ebenso derben wie eingängigen Couplets auf, spielten die Hauptrollen in einem Stummfilm, feierten im europäischen Ausland Erfolge und besaßen schließlich sogar das Operettenhaus auf St. Pauli.

Kiezhonoratioren waren sie, stadtbekannte Originale, die – durchaus patriotisch gesinnt – im Ersten Weltkrieg die Truppen an der Front unterhielten und schon 1924 ihren jüdischen Familiennamen ablegten, um ihr Bühnenpseudonym auch offiziell zu tragen. Doch trotz Assimilation kam mit der nationalsozialistischen Machtübernahme das Auftrittsverbot. Die Nazis erklärten die größten Hits der Gebrüder Wolf zu deutschem Volksgut und verboten ihnen, ihre eigenen Lieder zu singen. Es folgten Deportation, Flucht und Exil in Shanghai.

Ein arisiertes kleines Lied

Einer der Brüder wird in Theresienstadt ermordet, die anderen sterben in der neuen Heimat USA. Nur Ludwig bleibt in Hamburg, überlebt die NS-Zeit dank einer so genannten Misch-Ehe und stirbt 1955. Damals war das Kapitel der Gebrüder Wolf gründlich aus der Geschichte der Hamburger populären Musik verschwunden. Nicht nur ihr Film ist verschollen, bis heute konnte auch keine Originalaufnahme ihrer Erkennungsmelodie, des Lieds vom Äpfel klauenden Tüdelband-Treiber, ausfindig gemacht werden.

Auf Return of the Tüdelband (Trikont/Indigo), einer Hommage an die Wolfs, horchen Hamburger Musiker nun wenigstens den Echos aus der Vergangenheit nach. Bei der Country-Band Fink wird aus dem Lied vom Hamburger, der nicht nur sprichwörtlich auf die Nase fällt, eine Hommage an das Fernweh, Viktor Marek & Jacques Palminger erzählen sprechsingend über einem Dub-Rhythmus vom Leben auf der Straße. Die vier Musiker von Kontradiction mahnen per Reggae ein liberales Hamburg an, bei Veranda Music durchläuft der „Hamborger Jung“ eine veritable Drogenkarriere, und Bernadette La Hengst lässt das Liedchen zum Sozialdrama mutieren. Return of the Tüdelband versammelt keine traditionellen Coverversionen, es wird umgedichtet, ergänzt, oft auch nur ein einzelner Aspekt des Originals herausgezogen und ausgebaut. Das allerdings in allen erdenklichen Stilen. Ein altes Lied wird zum Platzhalter für Sehnsüchte von heute. Noch einmal verdichtet sich darin das Le bensgefühl einer Stadt.

Die Rückkehr nach St. Pauli

Mittlerweile hat sich das musikalische Bergungsunternehmen sogar zu einer Art Aufarbeitungsmaschinerie entwickelt. Schon vor der Platte hatte der Filmemacher Jens Huckeriede begonnen, die Geschichte der Wolfs zu recherchieren. Dabei stieß er auf den Urenkel Dan Wolf, der bis zum Auftauchen des Filmers nichts von der musikalischen Vergangenheit seiner Familie wusste. Dan Wolf wiederum ist selbst Musiker, Teil der Rap-Formation Felonious, die nun die Tüdelband-CD ebenso eröffnet wie Huckeriedes gleichnamigen Film.

„I seek the people’s story“ rappt er dort, forscht nach Spuren auf der Reeperbahn, im KZ Neuengamme, in der Synagoge und im Luftschutzbunker. Der jüngste Wolf rappt auf Englisch und adaptiert problemlos das Plattdeutsch seiner Vorfahren, auch wenn er die Worte nicht ganz versteht. Siebzig Jahre nach dem Versuch der Isaacs, sich als Gebrüder Wolf neu zu erfinden, wechselt der Urenkel ganz selbstverständlich die Identitäten. Auf Huckeriedes Anregung entstanden zudem eine Ausstellung und eine erfolgreiche Theater-Revue – in den Hamburger Kammerspielen, deren Gebäude bis 1941 den jüdischen Kulturbund beherbergte, ab 1942 jedoch als Sammelstelle für Deportationen diente.

Nicht eben wenig hat es in Bewegung gesetzt, das kleine Lied, nachdem es scheinbar zufällig wieder aufgetaucht war aus dem kollektiven Gedächtnis. Return of the Tüdelband ist nicht nur eine Reminiszenz an gewaltsam unterbrochene Traditionen, eine Variation übers Erinnern, das vor dem Vergessen rettet. Es ist auch ein Lehrstück über die Macht der Musik. Der Zauber eines mehr als 90 Jahre alten Songs schafft, was kein Geschichtsbuch vermag: Er lässt Vergangenheit wiederauferstehen.


Hamburger Apfeldiebe
Mit der unsterblichen Zeile "An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband" beginnt ein Song, der zu so etwas wie der inoffiziellen Nationalhymne der Hansestadt Hamburg wurde. Das Lied über den Jungen mit dem Metallreifen, den er mit einem Stock zum trudeln bzw. "tüdeln" bringt, gipfelt in dem problemlos mitgröhlbaren Refrain "Klau´n Klau´n, Äppel wüllt wi klau´n". Es wurde 1911 von den Gebrüdern Ludwig und Leopold Wolf komponiert, die das Couplet "Een echt Hamborger Jung" auch selbst in stilechter Hafenarbeiterkluft auf Bühnen in ganz Europa mit riesigem Erfolg zum Besten gaben. Nach 1933 gerieten die Gebrüder (ganz im Gegensatz zu ihrem größten Hit) in Vergessenheit, denn den beiden jüdischen Schlachtersöhne, deren eigentlicher Nachnahme Isaac lautete, wurde es verboten öffentlich aufzutreten.
Doch jetzt rollt eine gewaltige Wolf-Revivalwelle an. In den Hamburger Kammerspielen läuft erfolgreich "Die Jungs mit dem Tüdelband" und Jens Huckeriede drehte den Dokumentarfilm "Return of the Tüdelband". Passend dazu erscheint jetzt diese CD auf der Hamburger Musiker die Wolfs covern. Den Auftakt macht allerdings die Hip-Hop-Band "Felonious" aus San Francisco zu der auch der Wolf Urenkel Dan Wolf gehört. Auch viele der restlichen Titel dieser CD sind ähnlich gelagerte oft englischsprachige Hip-Hop- oder Rap-Versionen mit kurzen deutschen Einschüben und wirken dabei etwas beliebig und austauschbar. Doch interessant wird immer wenn die echten Wolfs durchschimmern etwa bei den Samples historischer Aufnahmen von "Goldjunge" oder bei "Helikons" Version der wunderschönen Ballade "Komm doch mit mir Therese, sonntags nach Blankenese".
(highlightzone.de)

Der mit den Wolfs tanzt oder die Geschichte vom Tüdelband

(hamburg.de) Am 29. September erscheint zu Ehren der Gebrüder Wolf die CD 'Return of the Tüdelband'. 1911 schrieb Ludwig Wolf, ein jüdischer Schlachtersohn, das Couplet (ein Lied mit pointiertem Refrain) 'Een echt Hamborger Jung'. Diese Hamburger Volksweise entwickelte sich zu einem Klassiker und hat bis heute nichts von seinem Charme verloren.

Klaun, klaun, Äppel wollen wir klaun... die wohl bekanntesten Zeilen eines berühmten Hamburger Gassenhauers, der Junge mit dem Tüdelband.

1911 schreibt Ludwig Wolf, ein jüdischer Schlachtersohn, das Couplet Een echt Hamborger Jung. 93 Jahre später erfreut sich diese Hamburger Volksweise, die auf die zweite Strophe des Couplets zurück geht, nach wie vor so grosser Beliebt- und Bekanntheit, dass sich erneut eine Vielzahl an Künstlern diesem Song annehmen. Von den 10er bis in die frühen 30er Jahre sorgt das jüdische Brüderpaar, Komiker- und Gesangsduo Gebrüder Wolf aus der Hamburger Neustadt bis weit über die Hamburger Grenzen hinaus für Furore und Begeisterung. 1933 setzen politisch und moralisch fehlgeleitete Machthaber das Bühnenverbot für jüdische Künstler durch. Der Anfang vom Ende.

Die Wolfs dürfen ihre eigenen Lieder nicht mehr singen. Teile der Familie wandern aus, andere kommen ins Konzentrationslager und die Gebrüder Wolf geraten in Vergessenheit. Wer unter 80 Jahren kann schon von sich behaupten, dass er die Autoren dieses Hits kennt. Wir schreiben das Jahr 2003, kurz vor dem Return of the Tüdelband. Genau diesen Namen trägt eine Sammlung von 22 verschiedenen Interpretationen des Wolf-Klassikers, die in Kürze erscheint. Kann das gut gehen? Ja es kann. Kein neunmalkluges Hamburger Schule-Genöhle, keine üblichen Verdächtigen der Hamburger Hip Hop-Familie und keine uninspirierte Eurodance-Chartanbiederung, sondern mutige, interessante, originelle Ausseinandersetzung mit dem Song. Den Anfang macht gleich der Ur-Enkel Dan Wolf mit seiner Rap-Formation Felonious. So ein Apfelklau kann ganzschön funky sein. Folgen tut ihm Der Fall Böse. Nicht weniger funky ist ihre Liebeserklärung an Hamburg in der aus dem Jungen ein alter Mann mit'nem Tüdelband geworden ist. Ein weiteres Highlight ist Fink's Eckensteher, der sich auf ihren Konzerten zum Hit gemausert hat.

Im Folk-Songschreiber-Gewand wird über die durchaus tiefere Bedeutung von Ecken philosophiert. Grossartig. Huss beschreibt auf Club-taugliche Weise, dass ein Hamburger Jung keinen Schmerz kennt. Mit seiner Electro Clash-House-Interpretation könnte Huss ein potenzieller Club-Hit gelungen sein. Das so ein Apfel auch massiv Vitamine hat die einen Apfelklau hier und da mal nötig macht erzählen uns auf überzeugende Art und Weise die Hamburger Jungs von Otterpost. Junkie-Geschichten, Liebe und Leid in Hamburg, Schicksale dicker Mädchen und vieles mehr findet sich auf der Wiederkehr des Tüdelbands. Die musikalische Bandbreite fängt bei Rap an, streift Country, Pop, Reggae, Folk, Electro Clash, Rock und hört bei einer Balade auf. Die große Mixtur macht das Durchören nicht unbedingt einfach, aber wer sagt das man die CD in einem Schwung durchhören muss. Ludwig Wolf hat einen Hamburger Evergreen geschrieben und diese CD dankt es ihm. Für das gutsortierte Hamburger Plattenregal ist dieses Werk ein Muss.

Am 28. September gibt es zur CD das Release-Konzert in der Fabrik (siehe Veranstaltungstipp). Viele auf der CD vertretenden Künstler werden dort auftreten und auf ihre Art das Lebenswerk der Gebrüder Wolf ehren.

TVO

 
last updated: 13.11.2004 | top