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[Details]...Sie
klingt nach eingesammelten Resten vergangener Zeiten, beschädigte Fundstücke,
liebevoll, wenn auch nicht ganz korrekt restauriert....Als würde eine aus
der Mode gekommene Musikmaschine wieder in Betrieb genommen; ächzend und
knirschend setzt sie sich in Bewegung. Keine Satire, kein überheblicher
oder anbiedernder Zugriff, sondern eine Annäherung mit Liebe und Respekt
an Musiken aus Kneipen und Kaffehäusern, vom Rummelplatz und aus dem Kino.
(FRANKFURTER RUNDSCHAU) ...
Im Klartext: Es geht hier weder um professionelles Musikvergnügen noch
um kichernde Trash-Vergötterung. Der selbstgenügsame Dilettantismus des
eigenwilligen Ensembles schert sich ebenso wenig um Virtuosität wie die
ironische Inszenierung ihres Gegenteils. Es geht um "Popmusik für Anarchisten",
wie Radio Flora befand, bzw. die "Konkursmasse unmodern gewordener musikalischer
Formen" wie die acht "Reformmusiker" ihr Genre selbst umreißen. Was das
für Formen sind? Ein "Blasorchester betrunkener Bergleute" wird da zum
Beispiel genannt, oder auch der "sibirische Heimorgel-Spielkreis". Das
klingt, na ja, vermutlich ziemlich schräg. Das
Oktett ist wirklich eine seltsame Kapelle und zelebriert den Eigensinn,
als sei es die normalste Sache der Welt. Auf den ersten Moment wirken
sie nicht ganz so irrwitzig wie Auktyon, die Derwische aus St.Petersburg,
der Wahnsinn der Kap.Wlodek kommt eher kammermusikalisch und subtiler
rüber, und eigentlich sind sie die perfekte Begleitband für Tom Waits. ...
die acht Musiker der Kap.Wlodek, die, im Einheitsanzug mit Armbinde, wie
fahnenflüchtige Heilsarmisten wirken. Da gibt es ein Wiegenlied durchs
Megafon zum ledernen Tremolo eines indischen Harmoniums. Unschuld und
Brunst: der Bassist erhebt sich und bläst beseelt in zwei Blockflöten
zugleich. Akkordeon und Cluborgel scheinen direkt aus einem tschechischen
Ballsaal der 50er Jahre importiert. Auf der Leinwand flimmert ein alter
Schulfilm über Gartenbau, die Band spielt dazu einen schleifenden Walzer,
lang und langsam. Die minimalistisch-sentimentalen Melodien wirken wie
liebevoll verabreichte Drogen. Plötzlich ist die Andacht zuende: die Kapelle
fährt zum Teufel, mit Pauken und Trompeten und nachlässig gestimmten Elektrogitarren.
Sie steigert sich in eine infernalische Polka hinein. Der Bläsersatz spielt
Ska, das Schlagzeug einen Marsch, die Tasten Tarantella. Der Jahrmarkt
brennt und dazu spielt die Feuerwehrkapelle. Ein
Banjo nörgelt gegen den verhatschten Walzertakt. Verbeulte Blasinstrumente
versuchen, den Perkussionsgeräten aus der Haushaltswarenabteilung Rückhalt
zu geben. Irgendwo weit hinten spielt Richard Clayderman eine Zweifinger-Kinderorgel.
Die achtköpfige deutsche Band setzt da an, wo es einem Nino Rota zu dilettantisch
wird. Big-Band-Musik für die Kleinbühnen dieser Welt. Betört die Seele
- und nervt wie die Hölle. Stilistisch kommen hier neben Walzer, Ska oder
Holzhacker-Polka auch Elemente aus der tschechoslowakischen Trickfilmmusik
der 70er Jahre oder Flötengenerve der Bud-Spencer und Terence-Hill-Soundtrackschule
zum Einsatz. Kosmoproletarischer Tango ist ebenso zu hören wie verschlurfte
Befruchtungswalzer der US-amerikanischen Schule (Rock-`n`Roll-Balladen
ohne Eier!). Alles auf größtenteils instrumentaler Basis. Man möchte sich
nämlich gar nicht vorstellen, wie Kap.Wlodek klingen würden, wenn sie
sich auch noch in Gesang versuchen würden. Ein spätes Meisterwerk dieses
Jahres. Genial? Genialisch! Der Unterschied macht sie sicher. ...Eine
rauhe, archaische und schräge Scheibe, die aufgrund ihrer Außergewöhnlichkeit
und Unangepaßtheit verwirrt und fasziniert. Es ist eine seltsame Welt,
die dort fast filmsoundtrackmäßig ausgebreitet wird. Minimalismus pur,
sparsam instrumentiert und meilenweit von irgendwelchen Rockidiomen entfernt.
Weitere Anhaltspunkte wären Johnny Dowd oder Kurt Weill. Und alles kratzt,
knarzt und lebt in unglaublich seltsamer Art. Die mit Abstand eigenständigste,
widerspenstigste und interessanteste CD der letzten Monate. |
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last updated: 10.11.2005 | top |