Populäre
jüdische Künstler - Musik & Entertainment 1903 -1933 Ein wesentliches Merkmal der auf Pop abonnierten Musikindustrie besteht darin, Altes monatlich unter einem Geröll von Neuerscheinungen zu vergraben und damit zu suggerieren, es sei nicht mehr up-to-date. Was sich nicht als Oldie und Evergreen durchzusetzen vermag und einen ständigen Neuaufguß erfährt, bleibt da für lange Zeit, oft für alle Zeit verschüttet. Um so verdienstvoller ist die aufwendige CD-Edition "Populäre jüdische Künstler" bei Trikont, die mit 78 Nummern einen repräsentativen Überblick über die jüdische Unterhaltungsmusik in Deutschland bis zur Machtergreifung der Nazis bietet. "Diese CDs", schreibt das Label in seinem Beiheft, "sind ein Denkmal für das Schaffen und Wirken der jüdischen Künstlerinnen und Künstler." Als solches vermittelt die Edition einen Eindruck von dem, was auf ihr selbstredend fehlt: die kulturelle Wüste, die in Deutschland auch im Bereich der populären Musik sich breitmachte, als die hier vertretenen Künstler emigrieren mußten oder ermordet wurden. Kulturindustriegegner haben immer wieder darauf hingewiesen, daß sich die Nazis sehr wohl auf Populärkultur verstanden und nicht zuletzt den Schlager als Mittel der Propaganda einsetzten. Doch wie weit entfernt das Schlager-Verständnis der Nazis von dem auf diesen CDs vorgestellten Reichtum an Ausdrucksformen war, springt sofort ins Ohr: Das breite Spektrum an Komik, Ironie, Zitathaftigkeit, Melancholie, aber auch oft zarter Distanz gegenüber dem eigenen Vortrag, schrumpfte fortan auf nur eine einzige Eigenschaft zusammen - auf Sentimentalität, also Kitsch, etwas, das all diesen Nummern völlig fremd ist. Um Mißverständnissen
vorzubeugen: Der Titel "Populäre jüdische Künstler"
ist ebenso programmatisch sinnvoll wie irreführend gewählt.
Er ist insofern irreführend, als fast keines der Stücke jüdisches
Leben und jüdischen Glauben thematisiert, auch nicht die zahlreichen
Repressionen, denen Juden ausgesetzt waren. Eine Ausnahme bildet lediglich
Paul O'Montis mit "Ghetto" und "Kaddisch", zwei Liedern
von 1928, davon abgesehen reicht die Palette von der in allen Varianten
besungenen und häufig vermißten Liebe bis zur Blödelei,
die an Helge Schneider grenzt und bei Karl Farcas selbstkritisch behandelt
wird ("drum sing ich zu dem Liedchen fein / den allerblödesten
Refrain"), sie reicht von pointierten Alltagsbeobachtungen bis zur
Selbstbespiegelung des Musik- und Varietébetriebs. Wer hier genuin
Jüdisches sucht, sitzt genau dem Trugschluß auf, 'das Jüdische'
spreche mit einer klar umrissenen Stimme. Genau aus diesem Grund ist der
Titel jedoch strategisch gut gewählt: Er vereint eine Vielzahl absolut
heterogener Stimmen und künstlerischer Ansätze, darunter sogar
ein paar patriotische Lieder, unter einem Oberbegriff, durch den noch
einmal der Wahnsinn und die Dummheit deutlich werden, die herrschen, wenn
Antisemiten von "den Juden" reden, als ließen sich Menschen
in Äpfel und Birnen sortieren. Nach mehreren Stunden Musikgenuß stellt sich aber auch ein schaler Beigeschmack ein, eine Art Dröhnen im Kopf. Schuld daran trägt nicht die Musik, auch nicht das permanente Rauschen der alten Schellacks. Es rührt eher vom Bewußtsein des Verlorenen, das für heutige Hörer aus dieser Musik spricht. Verloren ist der Optimismus, der da mit allen satirischen Zwischentönen vorherrschte, der Optimismus, Deutschland und Österreich könnten ihren nationalen Wahn ablegen und endlich einmal die kulturelle Vielfalt genießen, die sie zum Gutteil den jüdischen Künstlern verdankten. Von dem, was folgte und bis heute nachwirkt, wissen wir. Martin Büsser |
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last updated: 06.12.2001 | top |