JÜDISCHE KÜNSTLER

Gesichter der Großstadt
Jüdische Künstler prägten die zwanziger Jahre – deren Mythos heute wiederbelebt wird
Von Daniel Bax - Die Zeit

Seit Anfang September das neue Jüdische Museum in Berlin eröffnet hat, strömt das Publikum scharenweise in den Libeskind-Bau, um im Zickzack-Parcours Details aus zwei Jahrtausenden deutsch-jüdischer Geschichte zu erleben. Groß ist das Bedürfnis nach einem Korrektiv zum Blickwinkel der Mehrheitsgesellschaft – als würde man ein fehlendes Puzzleteil einfügen, um Altbekanntes endlich neu sehen zu können.

Oder eben zu hören. Passend zum Anlass hat das Münchner Trikont-Label eine Edition mit Aufnahmen populärer jüdischer Künstler aus den zwanziger Jahren herausgebracht, darauf versammelt Trouvaillen aus Wien, München, Hamburg und Berlin. Auch diese Veröffentlichung wirkt wie eine Ergänzung, doch zunächst einmal zur CD-Reihe Rare Schellacks, auf der im selben Verlag Großstadtschlager aus Sachsen, Berlin und Bayern erschienen – Doppelungen nicht ausgeschlossen.

So findet man den bayerischen Mundart-Humoristen und Büttenredner Julius Thannhäuser – eine Art Gerhard Polt der Jahrhundertwende – mit seiner Scherzrede vom Sendlinger Thor bereits auf dem „Bayern“-Album, neben kabarettistischen Einlagen seiner ungleich bekannteren Kollegen Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Dass Thannhäuser, das bayerische Original, ein Jude war, fand auf der ersten Veröffentlichung noch keine Erwähnung. Und warum auch? Ist dies doch zum besonderen Verständnis seiner Späße weit weniger eine notwendige Voraussetzung als die Vertrautheit mit dem süddeutschen Dialekt. Der für Nichtbayern leider eine kaum überwindbare Hürde darstellt.

Volkskünstler wie Thannhäuser, der Schwabe Alfred Auerbach und die Gebrüder Wolf aus Hamburg waren weit weniger ihrer Herkunft verpflichtet als dem Geschmack ihrer Zeit, Volkstümliches und Lokalkolorit inbegriffen. Da wird berlinert und gewienert, und im Repertoire fehlt weder die Ode auf den Berliner Leierkastenmann noch die auf das Mädel von der Reeperbahn. Die wahre Domäne jüdischer Unterhaltungskünstler war jedoch nicht das Ballhaus, sondern die große Theaterbühne: Operette, Varieté und Revue als populäre Formate, in denen sich Talente zu Stars emporverdienten, ergänzt oft durch Film-, Radio- und Grammofonruhm.

Komponisten wie Friedrich Hollaender, dessen Ausstoß an Melodien eine eigene Edition wert wäre, Conférenciers wie Fritz Grünbaum oder kapriziöse Diven wie Fritzi Massary waren die Idole ihrer Zeit – Gesichter der Großstadt, die mit ihrer Musik und ihrem Auftreten der zeitgenössischen Vorstellung von Weltläufigkeit ein Gesicht gaben. Ihre Karrieren führten sie von Wien bis Berlin und darüber hinaus nach London und Amerika, wo sie vor der Verfolgung durch das „Dritte Reich“ Zuflucht suchen mussten. Doch ihre Chansons und Schlager prägen bis heute die Erinnerung an eine florierende Metropolenkultur, die mit der Machtergreifung der Nazis endete – an die man sich aber gerade in Berlin gern wieder erinnert.

Während dort seit dem Mauerfall die historischen Orte wieder hergerichtet werden – vom Adlon bis hin zum Scheunenviertel, und wenn schon nicht authentisch, so zumindest pittoresk –, baut man in den Bars und Kabarettbühnen von Mitte und abseits des Kurfürstendamms verstärkt auf den Mythos der zwanziger Jahre. Da kommen die Neuauflagen alter Schellackaufnahmen gerade recht. Schon Joseph Vilsmaier, der Regisseur, hat mit seinem Film über das exemplarische Schicksal der Comedian Harmonists – die auf der Trikont-CD leider fehlen – bewiesen, dass leicht romantisierende Episoden aus der letzten glanzvollen Ära der deutschen Geschichte auf Nachfrage stoßen.

An diesem Glanz hatten jüdische Künstler regen Anteil – allerdings verstanden sie sich im Hauptberuf meist als Künstler, nicht als religiöse Minderheit. Assimiliert an den Kulturbetrieb, den sie maßgeblich mitprägten, handelten ihre Lieder und Anekdoten – wie die ihrer nichtjüdischen Kollegen – von universellen Themen: der Liebe, dem Alltag, dem Leben als solchem. Spezifisch Jüdisches kam allenfalls am Rande vor, auf dem Trikont-Album dokumentiert etwa durch die „Kaddisch“-Totengebets- und „Ghetto“-Geschichten des Chansonniers Paul O’Montis und dessen freundliche Parodien auf jiddischen Jargon. Die etwas weniger freundlichen Parodien der Wiener und Berliner Kabarettisten, die, selbst dem assimilierten Bürgertum angehörend, sich witzelnd über die Nachzügler aus dem europäischen Osten erhoben, haben heute, nach dem Holocaust, einen Beigeschmack – und blieben folglich auf den CD-Samplern dezent ausgespart.

Was aber ist spezifisch jüdisch am Repertoire der jüdischen Künstler, die präsentiert werden? Wohl weniger der hintersinnige Witz, der gern als Erkennungszeichen angeführt wurde und wird. Spezifisch jüdisch sind vor allem die Biografien, die, nachdem die Nazis ein Auftrittsverbot für „Nicht-Arier“ verfügten, meist im Exil oder Todeslager endeten. Erstaunlich oft aber, auch das lehren die ausführlichen Begleittexte des Herausgebers Chaim Frank zur CD, kehrten manche der emigrierten Entertainer nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland zurück. Ihre eigentliche Heimat war nun einmal die deutsche Sprache.


 

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last updated: 19.11.2001 | top
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