Das Lied der traurigen Männer

Sammler, Plattenladenchef, Herausgeber: der Grieche Christos Davidopoulos und seine Liebe zum Rembetiko

Plattenläden sind Kapellen der Popmusik. Schallplatten sind das wichtigste Transportmittel der Popkultur – akustisch verschlüsselte Lebensgefühle aus aller Welt. Münchens wichtigster Umschlagplatz für solche Waren ist das „Optimal“ in der Kolosseumstraße, ein Magnet, der Musiker, DJs und Fans anzieht. Ob Indie- oder Garagenrock, French House oder Berliner Techno, Rootsreggae oder Countrygejodel – seit fast zwanzig Jahren findet sich hier in den Stellagen und Schubern das jeweils Neueste, Aufregendste; und das kann durchaus ein wiederveröffentlichter Klassiker sein. Dass man sich im „Optimal“ nicht auf eine Zielgruppe beschränken mag (wenn es sein muss, werden auch CDs verkauft), sondern ein breites Spektrum subkultureller Musiken abdeckt, spiegelt die Leidenschaften und Kompetenzen der Ladenbetreiber wider, die Weltläufigkeit von Geschäftsführer Christos Davidopoulos. Die meisten dieser Platten, sagt er, würde er sich auch selbst kaufen.

Der 42-jährige Grieche ist ein homme de discs: An die 20 000 Platten, gesteht er, stünden in seiner Drei-Zimmer-Wohnung. Als Sammler sehe er sich jedoch nicht, er höre nur gern gute Musik. Davidopoulos’ Understatement, seine profunden Kenntnisse schätzen auch die Münchner Pop- Literaten: Andreas Neumeister und Thomas Meinecke zählen zu den Stammkunden, als Rainald Goetz noch an der Isar wohnte, sah man ihn des öfteren im „Optimal“, damals noch in der Jahnstraße beheimatet. Im Literaturregal des Ladens mit Musikerbiografien, Cultural Studies, Pop-Literatur sind die Neuerscheinungen der Münchner Schriftsteller übrigens am frühesten in der ganzen Stadt zu haben.

Musik-Enzyklopädist Davidopoulos, den Pop-Autor Franz Dobler bereits zum Helden seines Doku-Hörspiels „Menschen in Musik“ stilisierte, kennt jedoch nicht nur die Meisterwerke von The Clash, Serge Gainsbourg und Lennie Tristano, er ist auch auf naturwissenschaftlichem Gebiet beschlagen. Weil er nicht zum griechischen Militär wollte, studierte er in München Physik. Nach dem Diplom als Chaosforscher wollte er in die Forschung, was jedoch scheiterte: Dem Doktorvater konnte er nicht in die USA folgen – die griechischen Behörden verweigerten ihm wegen des nicht abgeleisteten Wehrdienstes die nötigen Papiere. Nebenbei hatte Davidopoulos die typische Karriere eines Schallplattenhändlers absolviert: Vom Stammkunden zum Mitarbeiter. In den achtziger Jahren, während seines Studiums, war er bereits bei seinem Lieblingsladen im Glockenbach-Viertel als Verkäufer eingestiegen. Nach dem Diplom blieb er dem Musikgeschäft treu und festigte seinen Ruf als ausgefuchster Country-DJ.

Nun betätigt sich Davidopoulos bereits zum zweiten Mal auch als Herausgeber einer CD. Nach einem Sampler mit Coverversionen von Hank-Williams- Songs, den der Williams-Aficionado mit Allround-Künstler Hias Schaschko besorgt hat, versammelt er auf der soeben erschienenen CD „Rembetika – Songs Of the Greek Underground“ (Trikont) Volkslieder voller Wehmut und Sehnsucht: griechische Folklore von 1925 bis 1947, aus der Blütezeit des Genres. Musik, die so gar nichts mit gängigen Griechenland-Klischees zu tun hat, mit den Schlagern der Nana Mouskouri, dem Sirtaki-tanzenden Anthony Quinn als Alexis Sorbas oder dem Gedudel, das während des Griechenland-Urlaubs als Hintergrundgeräusch in den Tavernen läuft – aber ist das noch moderne Popmusik?

Aber sicher, lautet die Antwort, hat man die liebevoll ausgewählten Lieder gehört und die sorgfältig edierten Booklet-Texte durchgearbeitet. Die Rembetiko-Kultur liest sich nämlich wie die kaum bekannte Blaupause vieler Jugend- und Musikkulturen des 20. Jahrhunderts. Sie ist ein Cross-Over-Produkt, eine Folge der „Kleinasiatischen Katastrophe“, des Krieges von 1918 bis 1922, den die Hellenen verloren hatten. Mehr als eine Million Griechen, die auf dem Staatsgebiet der heutigen Türkei, in Smyrna und Konstantinopel gelebt hatten, mussten fliehen. Binnen kürzester Zeit verdoppelten sich die Einwohnerzahlen von Hafenstädten wie Piräus und Saloniki. Die Neuankömmlinge, in ghettoähnlichen Gebieten untergebracht, vermischten die Volksmusik ihrer alten, orientalischen mit der ihrer neuen, griechischen Heimat.

Die Protagonisten dieser libertären Szene waren junge Männer, die – wie die „Mods“ der sechziger Jahre – viel Wert auf ein schickes, aber unkonventionelles Äußeres legten. Sie nannten sich Manges oder Rembetis: stolze Außenseiter, Kleinkriminelle und Schmuggler. Machos aber, erläutert Davidopoulos, „waren das, auch wenn man es vielleicht annehmen könnte, nicht“. Die Manges waren offen für freie Liebe; sie hatten Freundinnen, heirateten aber aus Prinzip nicht. Eine verschworene Bande von Rumtreibern und Tagedieben also, die es nicht nötig hatte, sich gegen andere Minderheiten abzugrenzen. Demzufolge nahmen die traurigen jungen Männer kein Blatt vor den Mund: In ihren Liedern wird mit drastischer Unverblümtheit, wie man sie von Hip-Hop und Country kennt, über Drogenerfahrungen mit Haschisch und Heroin berichtet, über Hafenkneipen, Krankheiten und Tod, über die Liebe natürlich, über die Polizei und das Gefängnis. Rauchen, Tanzen und Trinken waren Protest gegen eine Gesellschaft, die die Migranten ächtete.

Wie alle Griechen, die in den siebziger Jahren aufwuchsen, kannte Davidopoulos zwar diese Lieder, nur hatten die politische Führung sowie die Künstler die Texte vorauseilend zensiert: „Haschisch“ wurde etwa durch „Ouzo“ ersetzt. Zumindest war die Busuki kein verpöntes, weil aus Kleinasien stammendes Instrument mehr, sondern dank des Erfolges des Rembetiko längst ein Symbol griechischer Folklore. In den achtziger Jahren wurden die frühen Originalaufnahmen wieder veröffentlicht und Connaisseur Davidopoulos deckte sich großzügig ein. Sechs Jahre lang wälzte der audiophile Brummbär das Projekt dann vor sich her, bis er dieses Jahr endlich einen Schlussstrich zog: Er schloss die Trackliste ab und verfasste die Texte. Bei den Recherchen stieß Davidopoulos auf zahlreiche Kontakte zwischen Bayern und Griechenland: So wurden die Schellackplatten jener Zeit unter anderem in Münchner Presswerken hergestellt, weil es in Griechenland keine derartigen Einrichtungen gab.

Die Rembetika, die Davidopoulos zusammengetragen hat, sind eine Entdeckung. Spröde, rau und schräg klingen sie, nicht so flüssig wie das, was man heute unter griechischer Folklore versteht. Eher so wie die Aufnahmen von Blues-Originalen wie Robert Johnson. Rembetiko – das macht diese Doppel-CD klar – ist der griechische Bruder von Blues, Tango und Fado. (Welt-)Musik, die sich „optimal“ mit anderen Pop-Kulturen versteht.

- MARKUS MAYER
 

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last updated: 19.11.2001 | top
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