Bleibt alles anders

MUSIK Das Linzer Duo Attwenger hat nach fünf Jahren mit "Sun" wieder ein Album vorgelegt. Mit dem "Falter" sprachen Markus Binder und Hans-Peter Falkner über die Tätigkeit des "Attwengerns", über das Reisen, das Abheben und die Musik, die entsteht, wenn man am Boden sitzen bleibt. GERHARD STÖGER

"diese gaunzn patriotn nationale idiotn
bitte saz so guad und stöts eich in an schwimmbod aufn bodn
und pinkelz bis zum hois eich olle gegnseitig au
und daun tauchz nu amoi unta und daun nemz an schluck davau"
Attwenger: "Kaklakariada", 2002


Als Attwenger 1997 nach mehrjähriger Veröffentlichungspause ihr viertes Album "Song" präsentierten, schien ein Endpunkt in der Karriere der außergewöhnlichsten Popformation Österreichs erreicht. Auf den Vorgängern "Most" (1991), "Pflug" (1992) und dem radikalen Meisterwerk "Luft" (1993) mischten Markus Binder und Hans-Peter Falkner auf bislang ungehörte Weise Schlagzeug- und Ziehharmonikasounds mit Dialekttexten, die geschickt zwischen lakonischen Alltagsbeobachtungen, rotzfrechen Schmuddelgstanzln und vordergründig sinnentleerten Wortspielen mäanderten. Den Kern von "Song" hingegen bildeten drei 15-minütige, der repetitiven Techno-Kultur verpflichtete Mantras, die das Songformat negieren und auf erzählende Texte verzichten.
Attwengers demnächst erscheinendes fünftes Album "Sun" deutet den vermeintlichen Endpunkt im künstlerischen Schaffen des international reputierten Duos jetzt zum Zwischenschritt um. Um die Unmöglichkeit wissend, sich noch einmal neu zu erfinden, verwandeln die beiden Oberösterreicher "Sun" in ein buntes Patchwork unterschiedlichster stilistischer Ansätze. Klassische Attwenger-Stücke der frühen Schule ("Kaklakariada") treffen auf minimalistischen Mundart-Elektro-Dub ("Kalender"), dadaistischen Groove-Pop ("Muamen") und unterschwellig irritierende Gemütlichkeit ("Laara Disch", "Sun", "Rehn1"). Daneben finden sich unter den 15 Stücken auch Livemitschnitte ihrer letztjährigen Kollaborationen mit dem Improvisationsgitarristen Fred Frith ("Mei Bua") und der elfköpfigen jugoslawischen Blaskapelle Boban Markovic Orkestar ("Si Dan", "Huad").

Falter: Die Intervalle zwischen Attwenger-Alben werden immer größer. Fällt Ihnen das Attwengern zusehends schwerer?

Markus Binder: Am Anfang funktionierte Attwenger nach dem Prinzip: "Holladrio, jeder haut drauf, was er hat" - und das war auch okay. Inzwischen haben sich die einzelnen Vorlieben, Eigenschaften und Fähigkeiten stärker herauskristallisiert. Aber es kann schnell passieren, dass wir wieder einmal drei Platten in drei Jahren machen.

Hans-Peter Falkner: Du musst unterscheiden zwischen dem Ergebnis und dem, was alles an Arbeit dahintersteht. Veröffentlichungslücken bedeuten ja nicht, dass in der Zwischenzeit nichts passiert wäre.

Falter: "Song" wurde 1997 zu einer radikalen Neudefinition von Attwenger. Wie geht man vor diesem Hintergrund an neues Material heran?

Binder: Ich hätte mir auch vorstellen können, die Arbeitsweise von "Song" weiterzuführen, denn durch die ständigen Wiederholungen wird das Ganze ja nicht langweilig, sondern immer interessanter. "Song" sollte aber nicht zum Konzept werden, das man einfach weiter betreibt. Die Herangehensweise an neues Material lief dann ganz relaxed nach dem Motto: Was kommt jetzt, was fällt dir ein? So sind neue Texte dahergekommen, und zu gewissen Texten hörst du einfach schon einen gewissen Sound. Bei "Sun" habe ich sofort gewusst: Das muss ein bisschen fliegen, abgehoben und künstlich werden.

Falter: Auf "Song" waren die Texte sehr abstrakt, die Sprache wurde mehr oder weniger als zusätzliches Instrument verwendet. Gab es durch die geänderten politischen Umstände der letzten Jahre jetzt wieder ein verstärktes Bedürfnis zur konkreten Aussage?

Binder: Ja, sicher. Vor allem das Stück "Kaklakariada" ist schon aus einem Ärgernis über den gesellschaftlichen Unfug entstanden, der sich in Österreich, aber auch anderswo abspielt. In Hamburg haben sie zum Beispiel dieselbe Regierung wie in Österreich - eine Rechtsaußenpartei in Koalition mit der CDU. Da kriegst du natürlich einen Zorn und denkst dir: Heh, was soll das? Wieso geht das jetzt alles in so eine beschissene Richtung? Für mich hatte aber auch die extreme sprachliche Reduktion auf "Song" einen politischen Faktor. Man muss da zwischen einer konkreten politischen Aussage und einem Standpunkt differenzieren, den man auch ohne Sprache formulieren kann - auch eine Elektro-Instrumentalplatte kann ein Statement gegen den Patriotismus sein.

Falter: Setzt das nicht eine andere Form von Kontextwissen voraus, um verstanden zu werden?

Binder: Ja, aber auch bei "Kaklakariada" geht es um genau diese Frage, wer im Stück gemeint ist. Der amerikanische Präsident kann sich davon genauso angesprochen fühlen wie irgendwelche österreichischen Provinznester.

Falter: Es wäre also verkürzt, "Kaklakariada" als Kommentar zur schwarz-blauen Regierung zu sehen?

Binder: Ja, das wäre verkürzt. Da geht es um viel mehr. Nach dem 11. September hat sich das Kleinkarierte zum Beispiel darin geäußert, die Welt in Fronten, Zivilisationen oder so einen Blödsinn einzuteilen. In diesen Diskussionen über die Hintergründe der Anschläge gibt es plötzlich grauenhafteste Argumente gegen ganze Weltgegenden, zig Millionen Leute werden schief angesehen, und es werden Zivilisationen und Kulturen konstruiert, die angeblich miteinander clashen - das ist absurd, ein Trauerspiel!

Falter: Robert Menasse hat den Tag der schwarz-blauen Regierungsangelobung begrüßt, weil er sich durch die neue politische Konstellation ein "heilendes Fieber" erwartete, an dem die Republik genesen würde.

Binder: Das ist ein völliger Schwachsinn und eine schreckliche Verharmlosung. Menasses Theorie geht nicht auf die dahinter stehende Gefährlichkeit ein, denn die schwarz-blaue Wunschgesellschaft ist ja ein einziger Albtraum und gehört mit allen Kräften verhindert.

Falter: Neben der Rückkehr zu umfänglicheren Texten zeichnet sich "Sun" durch einen Stilpluralismus aus, der auf den einzelnen vorangegangenen Alben so nicht gegeben war. Außerdem sind auf einigen Stücken erstmals Gastmusiker zu hören. Wie kam es zu dieser Vielfalt?

Binder: Attwenger steht für ein Konzept, eine gewisse Form der Weltbetrachtung zu formulieren. Und das ist mit den unterschiedlichsten Instrumenten, Stimmen und Leuten möglich. Daher war das potenziell schon immer - zumindest als Wunsch - angelegt. Bei "Sun" kam es uns zur Hilfe, dass zufällig zwei Veranstalter die Idee hatten, uns mit anderen Leuten gemeinsam auf die Bühne zu bringen - dem Boban Markovic Orkestar und eben Fred Frith. Diese Leute sind sowohl von ihrem Background als auch von ihrer Musik her sehr interessante Partner.

Falter: Gleich zu Beginn der Presseinfos zur neuen Platte heißt es, dass Attwenger keine Band, sondern "ein hinter dem Namen des Attwenger Tischlers sich ereignender Zustand" wäre. Das war in der Vergangenheit anders definiert, oder?

Binder: Am Anfang waren wir zwei tatsächlich eine sehr hermetische Zelle. Mit unserem dritten Album "Luft" hat es sich dann aber schon angekündigt, dass wir vom Sound her über das Duo Schlagzeug und Quetschn hinaus wollten. Die Erweiterung ist schon gut, gleichzeitig ist aber natürlich auch die Reduzierung gut. Es geht uns letztlich darum, die Komplexität im Simplen sichtbar zu machen: Du zeigst nicht alles, was dahinter steckt, reduzierst aber auch nicht total. "Sun" hält diese Balance - auch wenn jetzt verschiedene Sounds und Leute auftauchen.

Falter: Hans-Peter Falkner wird im "Falter"-Artikel zur letzten Platte mit den Worten zitiert: "Musikalisch kommen bei Attwenger zwei Seelen zusammen, die sich zu einem Ganzen vereinen und die Groove haben." Spürt ihr diesen Groove trotz geänderter Arbeitsweisen nach wie vor?

Falkner: Habe ich das gesagt? Ich sage eigentlich eh lässige Sachen!

Binder: Vielleicht kannst du 2002 auch einmal so einen Satz für die Ewigkeit sagen?

Falkner: Würden die Seelen nicht zusammenkommen, wäre "Sun" nicht so passiert. Am gemeinsamen Verständnis hat auch die neuartige Arbeitsweise nichts geändert - live spielt man das ja alles nach wie vor zu zweit.

Binder: Früher waren Platten und Liveauftritte von Attwenger relativ identisch. Bei "Sun" ging es uns schon auch darum, alles Mögliche auszuprobieren, da eine CD ja andere Qualitäten hat als ein Konzert.

Falter: Attwenger wurden hierzulande ständig von Debatten um die stilistische Fassbarkeit zwischen Neuer Volksmusik, Punk-Folklore und dadaistischem Anarcho-Soul begleitet. Unter welchem Label läuft Attwenger international?

Binder: Wir haben beim Sufi-Soul-Festival in Pakistan gespielt, also sind wir vielleicht Austrian-Sufi-Soul. Austrian-Sufi-Soul-Headbanger?

Falkner: Austrian-Sufi-Soul-Soft-Eggs! Aber diese Schubladen interessieren im Ausland niemanden. Für die sind wir einfach zwei kuriose Typen, die von irgendwo herkommen und komische Musik spielen. Dieses Festival war schon witzig: Die Musiker sitzen auf der Bühne alle am Boden - das ergibt ein ganz anderes Verständnis von Musik, extrem relaxed. Du machst einfach ganz andere Musik, wenn du am Boden sitzt.

Falter: Kann man denn am Boden sitzend Quetschn spielen?

Falkner: Ja klar. Ich habe auch schon im Liegen gespielt. Aber das darf man nicht so verstehen, dass du dich vor lauter Ekstase niederlegen musst, weil du so wild drauf bist, sondern du bekommst im Sitzen am Boden einfach einen anderen Groove zusammen.

Binder: Mit dem Schlagzeug funktioniert das leider nicht. Die Leute spielen dort alle Tabla, und wenn du siehst, wie sie das beherrschen, kannst du das Schlagzeug ohnehin wegschmeißen. Im Vergleich zum Sound, den Feinheiten und rhythmischen Wahnsinnigkeiten einer Tabla kommt dir das Schlagzeugspielen wie Holzhackerei vor. Aber bitte - man hat halt nichts Gescheiteres. Die Leute haben ja eine völlig andere, von Spiritualität und ewigen Traditionen geprägte Herangehensweise.

Falter: Ihr bringt von euren Auslandsreisen offensichtlich sehr viel Begeisterung mit. Wie sind umgekehrt die Reaktionen, wenn Attwenger am anderen Ende der Welt auftauchen?

Binder: Wir sind in Pakistan einmal mit einer iranischen Band im Bus in die Stadt gefahren. Die meinten, dass unser Konzert super und total interessant gewesen wäre. Wir haben uns gefreut, bis sie dann beim Aussteigen sagten: "Ach so, ihr seid gar nicht die zwei Schweizer - ihr seids ja andere!" Im Grunde ist es also vollkommen wurscht, wer was spielt; Hauptsache, wir sind alle freundlich, und alle waren voll super - so in etwa. Was wir da aufgeführt haben, war im Verhältnis einfach ziemlich komisch. Und der Sound und die Sprache sind für die Leute natürlich extrem schräg.

Falkner: Aber wir waren okay in dem Sinn, dass wir uns nicht verstellt haben, sondern genauso gescheit oder blöd und auch genau so angezogen waren wie hier. Wir haben auch schon Bands erlebt, bei denen Auftritte zur Kostümshow werden, weil sie einheimischer als die Einheimischen sein wollen.

Falter: Wofür steht das Verb "attwengern" im Jahr 2002?

Binder (zögernd:) Attwengern heißt, sich in den Mitteln zu beschränken und wiederholt Aussagen über bestimmte Themen zu treffen. Attwengern heißt irgendwie auch Dialektismus.

Falter: Hat das jetzt mit Dialekt oder mit Dialektik zu tun?

Binder: Dialektismus ist eine Verknüpfung dieser beiden Begriffe: Aus widersprüchlichen Begriffen oder einem nicht so eindeutigen Text entsteht ein Prozess, der zu einem eigenen, neuen Gedanken führt.

Falter: Ist "attwengern" fix definiert, oder kann das jeden Tag etwas anderes heißen?

Binder: Attwengern bedeutet jeden Tag, dass es jeden Tag etwas anderes bedeutet. Das wäre jetzt ein beispielhaftes Wortspiel, das zeigt, worum es geht. Sag du einmal - was ist "attwengern"?

Falkner: Wenn Attwenger spielt - zum Beispiel.

Binder: Attwengern heißt zum Beispiel auch, in Gegenden zu fahren, die abseits der kapitalistischen Akkumulierung liegen. Dadurch haben wir bisher schon fünf schöne Reisen gemacht, die sehr bereichernde kleine Abenteuer waren. Man kann Attwenger auch als Vehikel betrachten, mit dem man die Gelegenheit hat, gewinnbringende Erfahrungen in Pakistan oder Sibirien zu machen und Sachen vor Ort kennen zu lernen und nicht, was dir hier dazu erzählt wird. Denn das stellt sich letztlich alles als Unfug heraus.

Falter: Gibt es schon neue Reiseziele für die nähere Zukunft?

Binder: Auf unserer Wunschliste stehen unter anderem Mexiko, Kuba und Louisiana.

Falkner: Texas. Und Japan! Oder eine Chinatournee, das würde mich auch interessieren. Auf Kuba sollte man aber fahren, so lange der Fidel Castro noch lebt. Wenn der einmal nicht mehr ist, weiß ich nicht, ob es diesen Beigeschmack noch hat. Jetzt muss man hinfahren. Jetzt!

Binder: Jetzt gleich?

Falkner: Am liebsten ja. Das fände ich das Schönste.

Binder: Dann packen wir zusammen und fahren wir.

(März 2002)

 

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last updated: 15.03.2002 | top
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