Der Teufel steckt im Detail

DER STANDARD, 29. März 2002

Das Linzer Duo Attwenger präsentiert derzeit nicht nur sein neues Album
"Sun", sondern auch seine ideale Arbeitskleidung, den Anzug. Auf den
Charakterkopf kommt es an

Möglicherweise ist das jetzt eine etwas verstiegene These, aber: Entgegen
aller Vorurteile ist so ein Anzug ja heute die ideale Arbeitskleidung für
einen Attwenger. Immerhin geht es dem Linzer Duo darum, bei einer möglichst
schlichten und, trotz gelegentlicher, durch die klein gehaltene Besetzung
Schlagzeug/Ziehharmonika bedingter Ausbrüche eigentlich unspektakulären
äußeren Form die Kämpfe, die hier inhaltlich wüten, eher unterhalb der
Oberfläche auszutragen. Nach außen regiert, mittlerweile über fünf Alben zu
einem "klassischen" Attwenger-Sound perfektioniert, Sachlichkeit statt
Sentiment.

Zwar sorgten Attwenger ab Anfang der 90er-Jahre mit ihrer wilden Mischung
aus oberösterreichischer Volksmusik und einer aus dem Punk kommenden
Hau-drauf-Haltung für Aufsehen - inklusive eines damals mit ungefähr
zeitgleich aufgetauchten Konkurrenten wie Hubert von Goisern gestarteten
Höhenfluges der "Neuen Volxmusik". Im Gegensatz zur sowohl in
volksmusikalisch eher der Brauchtumspflege verhafteten wie in einer
altbackenen Rockmusik nach dem "Authentischen" suchenden Kollegenschaft
jedoch befreiten sich Attwenger nach dem Debüt Most und dem Nachfolgealbum
Pflug Mitte der 90er-Jahre von den Gefahren eines drohenden "Bauern-Jazz".
Von dort zu den Mühen fortschrittlicher Musiklehrer in den 70er-Jahren, der
Rockmusik mit Rock meets Classic "Niveau" zu verleihen, ist es nicht weit.

Wie Schlagzeuger und Haupttexter Markus Binder jüngst im Interview mit dem
STANDARD meinte: "Attwengern bedeutete immer schon: so wenig wie möglich."
In diesem Sinn ist dann 1993 nicht nur Luft, das bahnbrechende dritte Werk
von Attwenger zu verstehen. Auf diesem wurden damals nicht nur die Vorgaben
der oberösterreichischen Gstanzln auf das Allernötigste reduziert. Die
damalige Auseinandersetzung mit HipHop und verstärkt auch eigenen, nicht
mehr aus dem lyrischen Fundus der Gstanzln schöpfenden, sondern sich
verstärkt um die sprachlichen, besser gesagt sprachphilosophischen
Ausdrucksmöglichkeiten von Wort und Musik kümmernden, emotionslos
vorgetragenen Sprechgesangtexten leitete auch eine Entwicklung ein, die vier
Jahre später auf Song zur Meisterschaft gebracht wurde.

So wie es beim Behelfsmittel eines Anzugs bei aller klassischen Schlichtheit
mehr als bei jedem anderen Kleidungsstück auf den Charakter(-Kopf) des
Trägers ankommt, definierten die vier vom Ausdruck her schmucklosen und
minimalistischen Tracks von Song den eigentlichen Kern von Attwenger.

Mit dem grundsätzlich emotionslosen Behelfsmittel des Techno, dessen Reiz
sich über die Liebe zum Detail und nicht über erratische Grundmuster
erklärt, landeten Attwenger bei fünfzehnminütigen Einheiten, die ihren Reiz
sowohl vom rhythmischen Aufbau wie auch von den knappen Texten her
Minimalverschiebungen verdanken. Das beständige Kreisen um die eigene Achse
förderte an indische Mantras erinnernde Kompositionen zu Tage, die sich aus
der Verschränkung unterschiedlicher Bedeutungsfelder nähren. Der englische
Begriff "Song" meint "Lied" ebenso, wie das oberösterreichische Wort "Song"
schlicht "Sagen" bedeutet: "Werma seng werma song".

Das neue Album Sun, entstanden nach fünfjähriger Pause, die dazu genutzt
wurde, Attwenger zwar nicht neu zu erfinden, jedoch irgendwo in der Mitte
der eigenen Geschichte zu positionieren, hält sich im Spannungsfeld zwischen
Sound und Dialekt sämtliche Möglichkeiten der alten Entwürfe zwischen
narrativen Strukturen und statischer Grundlagenforschung offen. Mit Gästen
wie den bayrischen Elektronikern Couch, dem Boban Markovic Orkestar aus
Serbien und dem britischen Avantgarde-Gitarristen Fred Frith unternehmen
Attwenger eine Bestandsaufnahme. Neu erfinden können sie sich dabei nicht
mehr. Nicht nur der Teufel aber steckt im Detail. Auch der Reiz.

Christian Schachinger


 

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last updated: 04.04.2002 | top
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