Süddeutsche Zeitung

Attwenger im Atomic Café

Die Österreicher zeigen sich in München als wichtigste Band im Genre der echten Volksmusik: ein guter Rausch


Vor rund zehn Jahren trat im Münchner Domicile ein dadaistisches, musikalisch absolut stupendes Duo auf, das sein Publikum teils in völlige Begeisterung versetzte, teils in verstörende Ratlosigkeit stürzte. Offensichtlich war das Volksmusik, was die beiden machten. Nur drosch dabei der eine auf seine wenigen Trommeln ein, als gäbe es kein Morgen, während der andere seine Ziehharmonika bearbeitete, als läge zwischen seinen Händen die ganze Welt möglicher Musik. Freilich kannte man damals schon die so genannte "Neue Volksmusik", also die Erweiterung traditionellen Materials mit Anleihen aus Soul, Rock und Weltmusik.

Doch Attwenger waren anders. Sie fügten der Musik ihrer österreichischen Heimat nichts von außen hinzu, sondern erweiterten die Möglichkeiten des Materials immanent. Sie spielten nichts anderes, als das, das man dort, wo sie her kamen, schon seit Jahrhunderten spielte. Sie spielten es nur anders. Und deshalb waren sie die wichtigste Band im Genre der echten Volksmusik.

Und sie sind es immer noch. Zwar nimmt mittlerweile der Rhythmuscomputer eine größere, stets aber sekundäre Rolle ein; zwar dient die Ziehharmonika mittlerweile auch der Steuerung elektronisch verfügbarer Klänge; zwar sind auf ihrer neuen CD "Sun" als Gastmusiker Fred Frith und die phänomenale Blaskapelle Boban Markovic Orkestar vertreten.

Doch all dies sind nur Erweiterungen von Klangfarben. Die Struktur der Songs liegt nach wie vor bei Schlagzeug und Ziehharmonika allein. Als wollten sie dies beweisen, spielten Attwenger im Atomic Café so, wie sie schon immer spielten. Zu zweit. Und integrierten die äußere Weiterentwicklung ihrer Musik in das Kerngerüst.

Knorrige Volkspunks

Da finden sich Lieder von der ersten Platte, dieser eben verstörenden, knorrigen Volkspunksammlung, die nun aber im Sog eines immerwährenden Loops ein neues Eigenleben gewinnen. Die Kunst der Wiederholung, die könnten Markus Binder und Hans-Peter Falkner bei Alexeij Sagerer gelernt haben, der, Jahre ist's her, auch mal ausprobierte, wie sich ein Satz verändert, wenn man ihn eine halbe Stunde lang wiederholt.

Denn Attwenger sind Kinder ähnlichen Geists. Sie sind politisch, jetzt sogar explizit, mit dem ersten Lied des rauschhaft berauschenden Abends, das die Kleinkariertheit im Haiderland karikiert. Doch sie haken diese Aussage, in sich schon wieder von dadaistischer Größe, schnell ab. Um zu dem zu kommen, was ihnen wichtig ist: dem "wama liaba". Dem, was uns lieb ist.

21.05.2002 - Egbert Tholl


 

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last updated: 23.05.2002 | top
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