Frankfurter Rundschau

Wandelnder Widerspruch in Schwarz

Johnny Cash wird siebzig Jahre alt - ein Tribute-Album und eine neue Biografie ehren die Country-Legende
Von Klaus Walter

In Reno hat er einen Mann erschossen. Um ihn sterben zu sehen. Singt Johnny Cash im "Folsom Prison Blues". Jahre später, er ist längst ein Star in der Midlife-Crisis, ermordet Cash seine Ehefrau und die Ex-Geliebte. Der Fall wird schnell gelöst. Von Inspektor Columbo, in der Folge "Schwanengesang" von 1974. Auch im richtigen Leben war Cash mal im Knast. "Seven one night stands" wegen Pillen. Einmal wurde er verhaftet, weil er Blumen gepflückt hatte, im Park. Ansonsten ging er freiwillig ins Gefängnis. Cash spielte vor Lebenslänglichen und Todeskandidaten im Folsom- und anderen Prisons. Einer dieser Anstalten verschaffte er Weltruhm mit der Zeile: "San Quentin, I hate every inch of you". Als Cash den Song am 24. Februar 1969 dort erstmals singt, droht ein Aufstand. Die Wachen bringen ihre Gewehre in Anschlag, die Revolte im Hochsicherheitsgefängnis San Quentin kann gerade verhindert werden. Mehr noch als das Vorgänger-Album Live at Folsom Prison sollte Live at San Quentin den Weg ebnen zu Johnny Cash, Superstar: "Ich habe es schon immer als eine Ironie empfunden, dass ausgerechnet ein Gefängniskonzert, bei dem sich zwischen den Häftlingen und mir eine Beziehung entwickelt wie unter verbündeten Rebellen, Außenseitern und Schurken, meinen Marktwert so steigen ließ", schrieb Cash in seiner Autobiografie.

Es war nicht die einzige Ironie in diesem Leben, das mitten in der Großen Depression in einem fensterlosen Haus in Arkansas begann. Das Knastkonzert von San Quentin beschert Cash eine eigene TV-Show, seinen größten Pop-Hit und Ikonenstatus - nicht unter CB-Funk-Truckern, sondern in der Lesbenszene. "Viele Frauen sahen aus wie Johnny Cash", berichtet die Journalistin Teresa Ortega in Johnny Cash As Lesbian Icon. Seine "gefährliche Aura" und ein "Touch von trauriger Einsamkeit" habe Cash zum Rollenmodell prädestiniert, damals, als lesbischen Mädchen noch keine KD Lang, Martina Navratilova oder "Ellen" zur identifikatorischen Verfügung stand. Zu Touch und Aura kam Sue. Vor der johlenden Männerhorde in San Quentin sang Cash die Moritat vom All American Boy, dem sein Vater den Namen Sue gab. Sein Leben lang muss sich der arme Junge verspotten lassen. Sein Leben lang ist er auf der Suche nach dem Alten, der ihn im Stich ließ mit dem Namen Sue. Dafür wird er ihn töten. Als er ihn endlich aufspürt und ihm den Revolver vor die Nase hält, erfährt er den Grund für die Pein. Daddy wusste, dass er seinen Sohn allein lassen musste in dieser harten Welt, also nannte er ihn Sue. Der Name sollte ihn hart machen. Oder untergehen lassen.

Neuerdings wird der deutschsprachige Cash-Katalog, den bislang Gunter Gabriel und Howard Carpendale füllten, durch eine "Sue"-Version der Hamburg-Frankfurter Band Bernadette La Hengst bereichert. Bernadette Hengst und Sergeij Jensen ignorieren die musikalische Vorlage und kehren den Gender Trouble um: aus dem "Boy named Sue" wird ein "Mädchen namens Gerd". Gerd ist der Hit auf dem albumlangen Geburtstagsgruß, der zeitgleich mit The Beast In Me erscheint, einer neuen Cash-Biografie. Die einzige echte Neuheit, die dieses Buch der Cash-Literatur hinzufügt, ist Groß-Kitzighofen. So heißt in Wahrheit das Dorf mit Forellenbach in der bayrischen Provinz, dem Johnny Cash in seinen Memoiren den eindeutig hübscheren Namen "Groß-Kitscherkoffen" gibt. Die Berichtigung mitsamt der koketten Geste - was kann ein Boy named Franz dem Cash-Oeuvre schon hinzufügen? - steht in Franz Doblers Buch zur CD zum Geburtstag. Der bayerische Schriftsteller, DJ und Fan hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Countrymusik gegen falsche Feinde und Freunde zu verteidigen. Kein leichter Job in Truckstopp-Land. Wo Country im selben Stadl spielt wie Zillertaler und Wildecker lauern Rezeptions-Fallen und destruktive Missverständnisse, gegen die man sich wehren muss. Dobler tut das mit Verve und Furor, ohne Schnörkel und Fisimatenten, ein Labour of Love.

Man in black

"In jedem Text über Cash, und wenn er nur 20 Zeilen lang ist, muss der Ausdruck 'Man In Black' verwendet werden. Mit diesem Song von 1971 war er der einzige Country-Star, der etwas gegen den Krieg der USA sagte, verbunden mit dem Mitgefühl für alle Elenden, die Hungernden, die Häftlinge, die Hoffnungslosen, die Betrogenen hier und dort. Und er werde so lange schwarz tragen, bis die Verhältnisse sich besserten. 'Til things are brighter I'm the man in black'." Das von Dobler emphatisch begrüßte "Mitgefühl" für die Erniedrigten und Beladenen dieser Erde hinderte Cash nicht daran, Richard Nixons Einladung zum Vorsingen im Weißen Haus zu folgen; was ihn wiederum nicht davon abhielt, sich für amerikanische Ureinwohner einzusetzen oder für den Verbleib des politisch unliebsamen Bob Dylan bei der Plattenfirma CBS, die ihn selbst später als unrentabel entsorgen sollte. In europäisch-postmoderne (Un-)Ordnungen der Dinge will sich das Leben des Johnny Cash nicht so recht fügen. Einen wandelnden Widerspruch nennt ihn sein Schüler Kris Kristofferson, nicht weniger paradox ist ein anderer Kampfname: "natural outlaw".

Cash ist ein Familienmann. Seit 1968 mit der selben June Carter verheiratet, die seine Drogengeschichten erfolgreich mit Gottesfurcht bekämpft. Eine Religiosität, "ebenso stark wie nichtkirchlich", bescheinigt ihm der niederländische Pop-Kritiker Roel Bentz van den Berg. Auf seine alten Tage noch ließ Cash sich mit dem Produzenten Rick Rubin ein. Der hat als Gründer der Plattenfirma Def Jam den Crossover von Metal, Punk und HipHop betrieben, zum Vorteil der Beastie Boys und Run DMC. Cash tut das, wie vieles in seinem Leben, gegen sein angestammtes Milieu, gegen seine "natürliche" Destination, gegen Nashville sowieso. Rubin, Rollenfach wild man of rock, halb so alt wie Cash, überredet den Mann in Rente zu einem Comeback in Style. Im Zuge der Verjüngung und Formatierung von Country zum hochprofitablen Entertainment-Segment, das in den USA ähnliche Zustimmungsquoten von ähnlichen Milieus einfährt wie hierzulande das Genrebecken Schlager/Volksmusik, werden viele Country-Sänger "der Old School ausgemustert", so Franz Dobler. "Der neue Sound, der seitdem kommerziell dominiert, gehört zur ekligsten Musik, zu der Menschen fähig sind". Rick Rubin sah das genauso und lockte den von CBS unehrenhaft entlassenen Veteranen mit dem denkbar attraktivsten Angebot: Eine Platte mit der Cash-Essenz. Eisen-Gitarre, Granit-Stimme und, drittes Trademark: der Chicka Boom-Rhythmus, der den Sound der Eisenbahn in Musik übersetzt.

Der Rest ist wieder Legende. Unchained, spartanisch-pathetischer Monolith von einem Album, wird zur Country-Platte des Jahres gewählt, mutmaßlich von allen Stimmberechtigten, die noch eine Rechnung offen hatten mit Nashville, dem Silicon Valley des Country-Schlagers. Wie einst Malcolm McLaren bei den Sex Pistols erkannte Rubin das polarisierende Potential des alten Cash - und dahinter die jungen, "alternativen" Märkte. Im Branchenblatt Billboard bedankten sich die neuen Partner per ganzseitiger Anzeige beim "Nashville-Country-Establishment und den Country-Radios". Das Foto zeigt Cash mit ausgestrecktem Mittelfinger. Ein Finger, der seine Lock-Wirkung nicht verfehlen sollte. Nachgeborene Cashianer, die ihn immer gegen Nashville verteidigt hatten, bekamen jetzt ihre späte Dankesgeste. Der alte Mann sang Songs seiner Söhne und Enkel und die kauften die Platten - Frauen auch, nicht wenig. Songs von Costello, Soundgarden und Beck singt er ganz okay, aber erst auf der letzten Platte, Solitary man, wird der symbolische Schulterschluss ästhetisch eingelöst. Wenn einer im Angesicht des Todes vom Tod singt, droht Todeskitsch. Wenn die Granit-Stimme über "I see a darkness" bröselt, ein sterbensschöner Song von Will Oldham, dann werden nekrophile Reize gehandelt. Wenn schließlich Johnny Cash in die Rolle von Nick Cave schlüpft, der in die Rolle eines Todeskandidaten auf dem "Mercy seat" genannten elektrischen Stuhl schlüpft, dann ist Widerstand zwecklos: "Es gab gerade eine Menge Ärger wegen eines Gefangenen in Texas, der auf die Todesspritze wartete. George Bush Jr. (damals noch Gouverneur) weigerte sich, seinen Fall noch einmal anzuhören. Er glaubt, wenn jemand zur Todesstrafe verurteilt worden ist, dann muss er auch sterben. All das spielte während der Aufnahme von 'Mercy Seat' eine Rolle, ich hatte eine Menge Wut in mir. Was für eine schreckliche Sache, dass wir unsere eigenen Leute umbringen, um das Töten zu verhindern. Nicht mal die Elefanten machen sowas." (Cash im Interview mit Tim Robbins, FR vom 2. 12. 2000) Wenn es ihn jemals gegeben hat, den von Bush zumindest vor 11/9 propagierten mitfühlenden Konservatismus, dann bei Leuten wie Johnny Cash.
 

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last updated: 08.03.2002 | top
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