Das Tier im Manne

Franz Dobler liest heute im Schlachthof aus seiner Johnny Cash-Biografie

Johnny Cash wird siebzig – und der Einfluss des amerikanischen Country-Barden auf die musikalischen Nachfahren reicht sogar bis Bayern. Das Cash-Lied „Wo ist zuhaus, Mama“ hat Pate gestanden bei der Namensgebung von drei Alben mit deutschsprachiger Popmusik, die Franz Dobler in den 90ern herausgegeben hat. Da lag es nahe, bei befreundeten Musikern nachzufragen, ob sie nicht Lust hätten, Coverversionen von Johnny-Cash-Songs anzufertigen. Münchner Musiker scheinen eine besondere Affinität zu der Country-Ikone zu haben: „Don’t Take Your Guns To Town” empfiehlt Fred Is Dead, die Band um Hausmusik-Macher Wolfgang Petters.

Angefangen hat der glühende Cash-Aficionado mit seiner Firma, wo Cash einst stationiert war: in Landsberg am Lech. Von der Bluegrass-Band Lily, Friends & Husband hat man bisher nichts gehört, obwohl sie aus vertrauten Gestalten der Münchner Szene besteht. Querverbindungen bestehen zu den Moulinettes und Land Of Sex And Glory. Journalist Jay Rutledge outet sich bei „Give My Love To Rose” als Sänger und Banjo-Spieler. Als Three Shades Of Blues haben sich die Brüder Acher und Club-2-Macher Ivi Vukelic des von Cash auf Deutsch gesungenen Liedes „Wo ist zuhaus, Mama“ angenommen und es ins Kroatische übersetzt. Alle Cover-Songs können auf dem Sampler „A Boy Named Sue” begutachtet werden (erschienen beim hiesigen trikont- Label). Ein bunter Strauß zum Siebzigsten, der Meister Cash gefallen dürfte.

Dass er heute seinen siebzigsten Geburtstag feiern kann, dürfte keinen mehr verwundern als Johnny Cash selbst. In den letzten Jahren wurden bei ihm Parkinson, Shy-Drager-Syndrom und Diabetes diagnostiziert (vieles davon war falsch, was zu folgenschweren Fehlmedikationen führte). Aber der „natural outlaw“ hat überlebt und kann sich freuen – über eine Welle der Zuneigung seitens junger Fans. Der Grund dafür ist, dass Cash im Todesjahr von Nirvana-Sänger Kurt Cobain Songs aufnahm, die Grungehörern näher standen als der üblichen Country-Klientel; ohne Rührseligkeit, mit düsteren Texten: Grunge unplugged, sozusagen, „Country ohne Cowboyhut“. Es war Cashs Schulterschluss mit jüngeren Kollegen, die mit Punkrock groß wurden, der den Augsburger Pop-, besser, Country-Journalisten und Autor Franz Dobler („Tollwut“, „Bierherz“ ) bewog, acht Monate an einer Cash-Biografie zu schreiben („The Beast In Me – Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik“, Antje-Kunstmann-Verlag). Dass Cash zu Beginn der 50er mehrere Jahre in Bayern lebte, strapaziert Dobler dabei nicht über Gebühr. Cash arbeitete in Landsberg am Lech auf einer US-Militärbasis als Funkabhörspezialist. Er war der erste im Westen, der die Todesnachricht von Stalin aus dem Äther fischte. In seiner Freizeit übte er Gitarre und gründete eine Hillbilly-Band namens The Landsberg Barbarians. In jener Zeit soll der hünenhafte Amerikaner keiner Schlägerei aus dem Weg gegangen sein. Dobler hat auch den Namen des Ortes recherchiert, auf dessen Dorfplatz Cash geangelte Fische gebraten haben will.

Johnny Cash – ein cooler Übervater? Er habe sich gewundert, gesteht Dobler, dass es kaum Kritisches über diese Ikone zu sagen gebe. In seiner Biografie wollte er aber, wie er sagt, nicht nur Cashs Verdienste und Lebensabschnitte „bürokratisch“ abfeiern. Wer etwas von Cashs Musik, seinen Konzeptalben über amerikanische Geschichte verstanden hat, darf ruhig ein paar Pirouetten drehen: Dobler beleuchtet auch das Umfeld des Musikers und die Zeitgeschichte in der Biografie – dem Porträt eines eigenwilligen, sympathischen, leicht radikalen Existenzialisten, dem man verzeiht, dass er sich auf der Gitarre immer nur in C und G 7 begleitet.(Siehe auch Beitrag von Franz Dobler im heutigen Feuilleton. Dobler liest heute um 20.30 Uhr im Schlachthof aus seinem Buch, unterstützt von Wiglaf Droste und dem Spardosenterzett.)

MARKUS MAYER - 26.2.2002

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last updated: 07.03.2002 | top
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