|
|
|
 
Bernadette LaHengst im Gespräch mit
Connie Lösch |
|
Sexiness und Verstand
auf der nach oben offenen romantischen Rock'n'Roll-Skala
Pop ist gut
... weil er erklären kann, warum Leute etwas wollen sollen: Bernadette
LaHengst über sich, ihre neue Platte und die Möglichkeiten von
Musik
Abschied ist ein bisschen wie neugeboren werden. Jedenfalls für Leute,
die sterben einfach zu langweilig finden. Zu dieser Sorte gehört
Bemadette LaHengst, die früher unter anderem als Sängerin der
Braut haut ins Auge Wände wackeln ließ und sich inzwischen
von ihrer Band verabschiedet hat. Bei Trikont erscheint jetzt ihr erstes
Soloalbum. Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt
gewesen. Darauf ist sie die alte geblieben und trotzdem ganz entschieden
und gelassen eine neue geworden. Die Gitarre hat sie nicht in den Schrank
gestellt, aber den Sampler aus der Schublade gezogen. Dadurch hat sie
ihrem Rock'n'Roll die Rebellion bewahrt, gleichzeitig aber eine dickeLadung
Sexiness in den Rhythmus geholt. Egal ob sich das eherruhig oder aufrührerisch
anläßt, Bernadette LaHengst hat ein sicheres Gespür für
Songs, die einem mindestens den Tag, vielleicht aber auch das Leben retten.
Das liegt daran, dass sie keine Angst vor Traurigkeit kennt, diese aber
vom Jammerlappentum alternder Diskurspopper zu unterscheiden weiß.
Man kann auch vielschichtig dazu sagen - dass gilt auch für die Texte
auf "Der beste Augenblick". Sie fangen beim Kleinen an und eröffnen
Perspektiven aufs Grosse und Ganze: es sind mit Forderungen verbundene
poppoetische Perlen, die Spaß machen, weil sie Hirn, Herz und Hintern
in Schwingungen versetzen. "Der beste Augenblick" macht glücklich,
weil es keine verbissene Gewolltheit darauf gibt. Alles erscheint selbstverständlich
und auf fröhliche Weise selbstbewusst und
offen. Gleichzeitig explodieren die Songs vor geballter Energie, die nur
entstehen kann, wenn jemand mehr will als lediglich gefallen. Das ist
der Unterschied zwischen schön und toll. "Der beste Augenblick"
ist beides. Überlegt man sich, wie wenig andere Frauenacts sich das
Recht nehmen, ohne Rechtfertigung zu agieren und wie sehr den wenigen,
die es tun, genau das übel genommen wird, dann wird außerdem
klar: "Der beste Augenblick" ist ein Wunder.
Bernadette La Hengst hat sich für ihre Tour mit Justin Dulk und Max
Schröder zusammengetan. In Berlin gibt es exklusiv ein besonderes
unverpaßbares Ereignis: Sexton Ming & The Tasty Ones werden
den Abend eröffnen.
Die Braut haut ins Auge hat sich 1999 nach neun Jahren aufgelöst.
"Der beste Augenblick" ist deine erste Soloplatte. Wie ist es,
statt mit einer Rand plötzlich als Soloprojekt ,Bernadette
LaHengst unterwegs zu sein?
Befreiend und einengend. Die Diskussionen, die innerhalb einer Band stattfinden,
fallen weg, das heißt, man hat mehr Zeit für andere Dinge.
Gleichzeitig muss man sich aber alle Gedanken selber machen. Das hat Vorteile
und Nachteile. Es ist einsamer, aber auch sehr befreiend, weil man nicht
auf vier verschiedene Personen Rücksicht nehmen muss. Ich habe das
Gefühl, dass meine Ideen dadurch mehr auf den Punkt gebracht sind.
Auffällig ist,
dass es eine Soloplatte ist, auf der du wirklich beinahe alles selbst
gemacht hast. Das geht bis zum Cover, für das du dich mit Selbstauslöser
fotografiert hast. Trotzdem sind sehr viele Leute musikalisch eingebunden.
Wie wichtig ist es dir, andere Leute dabei zu haben?
Durch die Auflösung
der Braut bin ich eher nach außen gegangen als nach innen. Die Braut
war ein abgeschlossener Mikrokosmos, in dem wir uns selbst genügten
und soviel miteinander zu tun hatten, dass gar kein Platz für die
Außenwelt blieb. Seitdem es die Braut nicht mehr gibt, suche ich
viel mehr Diskussionen mit anderen Menschen. Dadurch gibt es vielleicht
auch mehr Einflüsse als vorher oder als ich vorher zugelassen habe.
Ich mache ja auch noch bei anderen Projekten mit: mit Peta Devlin zusammen
habe ich Parole Trixi
produziert. Und bin in einer Band, das Schwabinggrad Ballett, mit dem
wir hauptsächlich auf
Demonstrationen spielen. Das ist ein mobiles Freejazzkollektiv, ein mobiles
musikalisches
Einsatzkommando mit akustischen Instrumenten. Außerdem wollt ich
aber eine Soloplatte machen die ich von vorne bis hinten selbst bestimme.
Ich habe mir Gäste eingeladen, die ich musikalisch oder menschlich
sehr schätze und die ich gerne zu Wort kommen lassen wollte, wie
u.a Parole Trixi, Ted Gaier, oder Knarf Rellöm. Oder auch Sergej
Jensen, der aus Frankfurt am Main kommt, Künstler ist und eher abstraktere
Musik macht, so wie er auch
abstrakte Malerei fast ohne Farben betreibt. in Frankfurt gibt es keine
Popbands. Dort wird Elektronik gemacht und Minimalismus ganz groß
geschrieben. Der Dreieinhalb-Minuten-Song hat für ihn überhaupt
keine Bedeutung. Ihn interessiert das Improvisieren und Experimentieren
mit Sounds. Ihm geht es immer darum wegzulassen, wo man nur kann. Und
diese Abstraktion, dieses Malen ohne Farben ist auch in der Musik zu spüren.
Für uns war es eine Neuentdeckung, dass durch die Tatsache, dass
er nicht aus Hamburg, sondern aus Frankfurt kommt, auch zwei musikalische
Welten aufeinandertreffen. Die beiden Extreme haben zu einer, sehr guten
Kombination geführt, so dass ich auch mal weg gegangen bin von meinem
klassischen Bandsongwriting.
Du hast gesagt, die Braut war ein relativ abgeschlossener Kosmos. Hat
diese Art von Vereinzelung etwas damit zu tun, dass die Braut bei einer
Majorfirma unter Vertrag war? Und
inwiefern verändert sich das dadurch, dass deine Solo-Platte bei
dem Independentlabel Trikont erscheint?
Der Unterschied ist vehement, weil ich vorher einen Manager und Produzenten
hatte, der
zwischen der Band und der Majorplattenfirma stand. Wir haben uns bei vielen
entscheidenden Fragen entmündigt gefühlt. Bei Majorfirmen geht
es natürlich in erster Linie um Geld und um Vermarktbarkeit und nicht
um musikalische Leidenschaft. Das will ich jetzt nicht mehr. Dadurch,
dass ich in den letzten Jahren viel im Musikgeschäft gearbeitet habe,
früher selber eine Plattenfirma hatte, beim IndieLabel What's So
Funny About gearbeitet habe, habe ich soviel gelernt, dass ich jetzt in
der Zusammenarbeit mit Trikont eigentlich alles selber in der Hand habe
und sehr, sehr viel selbst bestimme. Trikont ist dazu eine sehr unkorrumpierbare
Plattenfirma, die leben kann, ohne sich an die Industrie zu verkaufen,
auch ohne einen Majorvertrieb zu wählen oder mit Majorverlagen zusammenzuarbeiten,
Dadurch ist Trikont sehr unzynisch, visionär und optimistisch.
In dem Moment, in dem alle anderen Bands von Indiefirmen zu Majorfirmen
wechseln,
wechselst du zu einer Indiefirma. Was hat das frühere Majorsein damit
zu tun, dass die Braut haut ins Auge innerhalb der Hamburger Schule eine
Art Sonderstellung oder vielmehr gar keine Stellung eingenommen hat? Die
Band schien ja eigentlich eher wie ein Ufo in der
Hamburger Schule rumzuschweben.
Ich glaube, das war eine bewußte Entscheidung von uns, auch gerade
von mir. Ich kannte ja all diese Hamburger Bands und Musiker, ein Großteil
kommt wie ich aus Bad Salzuflen. Da sind wir wieder bei dieser Fast-Weltweit-Geschichte,
dem Label, das wir damals hatten. Da waren Jochen Distelmeyer, Frank Spilker,
Bernd Begemann und einige andere dabei. Das war schon ein extremer Männerverein.
Die haben mich zwar irgendwie ernst genommen, aber ich konnte mich nicht
wirklich frei entfalten. Es ist schon etwas anderes, mit Männern
zusammenzuspielen, die seit ihrem 15. Lebensjahr nichts anderes gemacht
haben außer Gitarre zu üben. Und dann habe ich mich auch bewußt
aus diesem Diskursding ausgegrenzt, weil Männer untereinander anders
diskutieren. Wenn sie einmal einen Anspruch an sich gestellt haben, wie
Popmusik funktionieren sollte, nämlich intellektuell mit einem politischen
Anspruch, dann müssen alle anderen auch an diesem Strang ziehen,
sonst gehören sie nicht dazu. Ich hatte das Gefühl, ich muss
mich davon distanzieren; um meinen eigenen Ausdruck zu finden. Dazu kam
noch der Schritt der Braut zu einer Majorfirma, obwohl in der Hamburger
Schule die ganze Zeit diskutiert wurde, wie man eigene Strukturen schaffen
kann. Dadurch waren wir natürlich noch mal viel mehr draußen
als nur durch die Tatsache, dass ich keine intellektuelle Musik gemacht
habe,
Was heißt keine intellektuelle Musik?
Naja, das Diskursive. Intellektuelle, was bei Blumfeld im Vordergrund
stand, oder das
Politische wie bei den Zitronen. Das war nicht mein erster Anspruch. Meine
Vorbilder waren
andere. eher 60er-Jahre-Girl-Rebelbands. So haben wir angefangen, wir
haben Rock'n'Roll-Stücke, Punk-Girlgroups oder auch die Liverbirds
und die Headcoatees nachgespielt. An deren Sprache haben wir uns orientiert,
weil das für uns Rebellion war.
Mein Eindruck ist, dass du gar nicht unbedingt über andere Themen
reden wollest, sondern
dass du anders darüber reden wolltest.
Genau. Wenn man die ganze Zeit an einem fremden Maßstab gemessen
wird, den man sowieso nicht erreicht, weit man ihn auch gar nicht erreichen
will, dann muss man sich erst mal abgrenzen.
Dieser Schritt weg von der Majorfirma hin zu einem Independentlabel spricht
auch von einem sehr zuversichtlichen, fröhlichen Selbstbewusstsein,
dass sich auch in den Texten auf
der Platte äußerte. Glaubst du, dass diese Art Selbstbewusstsein
eine bessere Waffe Ist als reine Anklagerei ?
Das war eine sehr bewußte Entscheidung. Seit der Auflösung
der Braut sind zwei Jahre
vergangen, seit der letzten Studioplatte noch viel mehr. Da sind erst
mal sehr schmerzvolle Lieder über Abschied und dass man nicht weiß,
wie's weitergeht, entstanden. Das ist ganz typisch und klassisch autobiografisch
und ich habe gemerkt, dass mir das nicht reicht. Über 30 spielt da
auch eine Rolle, alle haben Zukunftsangst, keiner weiß, wie er sein
Brot verdienen soll, wenn nicht doch noch schnell ein Hit in die Charts
schwappt. Diese Art von Paranoia geht mir auf die Nerven. Ganz unabhängig
von der Musik möchte ich das nicht für mein Leben.
Wie wichtig ist es dir, einen Hit zu schreiben?
Ich glaube, ich hab
schon sehr viele Hits geschrieben, leider hat das außer einer Handvoll
Leute niemand gemerkt. Ich hab schon so viele Lieder geschrieben in meinem
Leben, und zehn potentielle Hits sind da mindestens dabei. Ich kann gar
nicht anders, als Hits zu schreiben, so kommt mir das vor. Ich denke da
nicht den ganzen Tag drüber nach, aber ich hab', glaub ich, einen
Hang zu großen Liedern, die viele Menschen erreichen könnten.
Das ist keine Selbstüberschätzung.
Komplizierte Songstrukturen scheinen dich wenig zu interessieren, dafür
hast du einen ganz großen Drang zum Ohrwurm. Du scheinst wenig Ballast
mit dir rumzuschleppen, vielmehr scheinst du ein ganz bestimmtes Konzept
davon zu haben, was Musik im Alltag mit Menschen anstellen können
soll.
Musik kann trösten und wahnsinnig viel Energie geben. Was ist schöner
als ein energievolles Drei-oder-Fünf- Minuten-Stück? Ich glaube,
Musik muss auf eine kompakte Form gebracht werden. Im Gegensatz zu Kurzgeschichten,
die ich ja auch schreibe. Ein Lied ist wie eine Erinnerung an eine gute
Zeit, und da merkt man sich ja auch nur einen bestimmten Moment. Genauso
merkt man sich bei einem Lied meistens nur eine bestimmte Zeile. Das muss
nicht mal der Refrain sein, das kann auch eine andere Zeile sein, die
einen aber auf besondere Weise berührt. Es ist immer ein kleiner
Ausschnitt aus dem Leben, der einen so trifft, dass es etwas verändert.
Welche Rolle spielt Melancholie? Aufs erste Hintergrundhören klingt
die Platte fröhlich und unbeschwert. Es sind Popsongs, die ordentlich
knallen, wenn man aber genau hinhört und die Texte liest, merkt man,
wie melancholisch das eigentlich ist. Es gibt immer einen Stachel.
Ich glaube, ich bin einfach eine sentimentale Sau. Ich glaube, niemand,
der Schmerz nicht kennt, den Schmerz des Verlustes, des Todes oder der
unerfüllten Sehnsucht, kann Lieder schreiben, die andere berühren.
Ich glaube, dass der Schmerz immer eine Riesenrolle spielt. Darum geht
es auch in "Weh tun", einerseits ist das kämpferisch gemeint
und dennoch geht es auch um den Schmerz an sich. Ich wollte diesen Schmerz
aber nicht als meinen kleinen Schmerz, der nur mir gehört, darstellen.
Es geht mir eher darum, was man als Mensch überhaupt aus dem Schmerz
lernen kann. Schmerz ist nicht immer die Grundvoraussetzung, aber ich
behaupte mal, dass es ohne Schmerz keine Weiterbewegung gibt. Deshalb
heißt das Lied auch im Untertitel "Wir bleiben in Bewegung".
Du singst "Wir werden verlieren, wenn wir uns nicht organisieren".
Welche Art von Organisation meinst du? Die DKP doch bestimmt nicht
Ich fand schön, was Kristof Schreuf gesagt hat, dass organisieren
auch bedeutet, dass man erst mal sein eigenes Leben organisiert. Da sind
schon beide Punkte mit drin. Nicht völlig konfus durch die Gegend
zu laufen und nicht zu wissen, wo's hingeht, ist die eine Seite. Der andere
Gedanke ist, sich nicht von der Welt abgegrenzt zu fühlen, sondern
sich mit mehreren Leuten zusammenzutun und an Dingen zu arbeiten. Entweder
musikalisch, indem man Netzwerke bildet, eine Independentfirma gründet,
Konzerte bookt, kleinere Bands unterstützt oder Festivals organisiert.
Und dann natürlich auch die politische Arbeit. Demonstrationen sind
in den 90er Jahren ziemlich out gewesen. Seit drei, vier Jahren habe ich
aber auf einmal wieder das Gefühl, dass es vielleicht eine Ausdrucksform
sein könnte, sich auf Demonstrationen lautstark zu äußern
und vielleicht auch andere Aktionsformen zu finden. Also schon der klassische
Ton-Steine-Scherben- Gedanke "Wir sind zwei von Millionen, wir sind
nicht allein".
Interview: Conny Lösch - Junge Welt
|