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Der weibliche Stenz |
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Die
Monacensia zeigt eine Ausstellung über die Volkssängerin Bally
Prell
Im Wohnzimmer hängt
das Kleid, das ihr zeitlebens sowohl Gefängnis als auch Schutzpanzer
war. Es hat einen dreistufigen rosa Rock, zarte Röschen auf dem Oberteil,
eine blau-weiße Schärpe. Und es ist scheußlich, da hilft
auch nicht, dass auf der Schärpe "Miss Schneizlreuth" steht.
Seltsam fremd hängt es in diesem Wohnzimmer, das der Bauernstube
im Tölzer Stil sehr nahe kommt, die sie sich nach dem Tod der Eltern
in der Wohnung in der Leopoldstraße 77 einrichtete. Wenn sie die
imaginierte Ländlichkeit verließ und auf einer Bühne stand,
um fast 30 Jahre lang immer wieder das eine Lied zu singen, mit dem sie
am 31. Oktober 1953 im Münchner Platzl, der damals wichtigsten Volkssängerbühne,
Furore gemacht hatte, dann legte sie dieses Kleid an. Dann war sie die
"Schönheitskönigin von Schneizlreuth" und fast nichts
sonst.
Bally Prell ist eine recht bekannte Unbekannte. Man kennt sie als eben
jene Schönheitskönigin, die charmant im grotesken Kostüm
mit bauernschlauer Listigkeit und ironisch unironischem Einsatz ihresNilpferdleibs
die in den 50er Jahren so beliebten Miss-Wahlen ad absurdum führt.
Man kennt das "Isarmärchen", das nur der für Kitsch
hält, der noch nie an einem sonnigen Herbsttag von der Monacensia
kommend an der Isar entlang bis zum Volksbad ging. In der Monacensia selbst
kann man jetzt, 80 Jahre nach ihrer Geburt und 20 Jahre nach ihrem Tod,
die unbekanntere Bally erleben. In einer Ausstellung, die auf Initiative
der Stadträtin Monika Renner von Cornelie Müller unter der Mitarbeit
von Heike Frey dort kuratiert wurde.
Cornelie Müller ist eine Spezialistin für Gemütserforschungen
und spätestens seit ihrer theatralen Installation "Leiser Einzelgesang
(mit Pfiff)", die im Zuge des umfangreichen Rahmenprogramms zur Ausstellung
Anfang Januar wieder auf dem Gasteig-Forum zu sehen sein wird, die prädestinierte
Prell-Interpretin. Als eine Fortsetzung ihrer Theaterarbeit hat sie jenes
Wohnzimmer eingerichtet, ein begehbarer Altar der Gemütlichkeit,
in dem Ballys Erinnerungsstücke als Devotionalien an die meist ausgeblendete
Außenwelt gemahnen. Der Bürgermeister von Schneizlreuth bedankt
sich für die positive Wirkung des Lieds auf den Fremdenverkehr, ein
Bibelspruch hängt an der Wand: "Vergiß die Armen nicht,
wenn du einen fröhlichen Tag hast."
Bally hatte augenscheinlich viele fröhliche Tage. Obwohl sie sich,
bald ein Star der Volkssänger-Szene, eher von dieser zurückzog,
von der Bü hne sofort nach Hause huschte, war sie bei allen beliebt.
Von den 50er bis zum Anfang der 80er Jahre währte der Boom der Szene,
der die Agenten reich machte, die Programme mit verschiedenen Künstlern
auf Bühnen, Firmenfeiern und in Bierzelte schickten. Allein zwei
Frauen hatten einen Sonderstatus: Prell und Liesl Karlstadt.
Ballys Aufstieg war vom Vater Ludwig geplant. Eigentlich war dafür
der Bruder Ferdinand vorgesehen, ein veritables Wunderkind. Doch der starb
mit 22, damals war Bally neun Jahre alt. Und trat das Erbe an. Ihr Vater
hat im Laufe der Zeit zunehmend weniger Probleme, sie mit einem männlichen
Pronomen zu versehen. Den riesigen Umfang ihrer phänomenalen Stimme
beschneidet sie immer stärker um die oberen Register. In den bekannt
gewordenen Liedern ist ihr Timbre klar weiblich, singt sie Georg Queri,
wird sie jedoch zum tenoralen Vorstadtstenz. Diese Annahme einer männlichen
Perspektive muss einen etwas bizarren Reiz gehabt haben. Sie stand auf
der Bühne, ihr Vater, der sie begleitete und ihr viele Lieder schrieb,
hatte den Ruhm.
Bally Prell verstand etwas von Gemütlichkeit. Unter diesem Aspekt
steht die Ausstellung, diese besang sie in ihrem Lied über das Lehel.
Diese Gemütlichkeit war für sie die Familie, die Wohnung, in
der sie ihr ganzes Leben verbrachte. Aus dieser Sicht wird der Vater auch
nicht zum Musikunternehmer, der die Tochter zu seinem Ruhm missbraucht.
Daheim war es Bally am wohlsten. Das zeigen die Höhepunkte der Ausstellung,
die durch den Nachlass ihrer Freundin Hedwig Gösswein, einem der
ganz wenigen Menschen, zu denen Bally außerhalb der Familie Zutrauen
fasste, erst möglich wurde. Darin fanden sich viele Tonbänder
und Filmaufnahmen. Ballys Tonstudio war das Wohnzimmer, hier nahm sie
die von ihr selbst transkribierten Tenorarien auf - und klingt darauf
wie Gigli, nachzuhören auf der wunderbaren Doppel-CD, die der Trikont-Verlag
zur Ausstellung herausbrachte.
Und das Wohnzimmer war ihre Bühne. Sie filmte sich selbst, Schönheitskönigin
zuhause. Einmal verschwindet sie aus dem Bild, man sieht nur die Blitzlichter,
die im Lied vorkommen. Und sie filmt, wie Paul Austers Augie, mit der
immergleichen Einstellung den U-Bahnbau vor ihrem Fenster. Fünf Jahre
lang. Der muss sie, obwohl Städterin, irritiert haben. Neben ein
Foto, das sie 1951 am Großglockner zeigt, schrieb sie: "Man
könnte bell'n vor Vergnügen." (Bis 14. März in der
Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23, Telefon 41 94 72 15.)
- EGBERT THOLL
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