Junge Welt

An und für sich an alle: Wie die Berliner »Russendisko« auf CD in Amsterdam ankam
06.03.2003 - Ekaterina Beliaeva

www.leningradspb.ru

Mein deutscher Schwiegervater, der in Amsterdam lebt, rief mich neulich an, um sich für das Buch »Russendisko« und die gleichnamige CD zu bedanken. Ich dankte ihm meinerseits für den geräucherten Riesenlachs, die er mir geschickt hatte. Wir tauschten ein paar nette Wörter aus, dann mit den Geschenken verbundene Geschichten.

Ich erzählte, daß der Russe Wladimir Kaminer vor über zehn Jahren nach Berlin gekommen sei, wo er die »Russendisko« erfunden habe und mit dem gleichnamigen Erzählband bekannt wurde. Dem Buch folgte jetzt eine CD mit den Hits, die er gemeinsam mit seinem Freund Juriy Gurzhy immer noch in der Disko auflegt.

Mein Schwiegervater berichtete daraufhin von einem Amerikaner namens Frank, der vor zwanzig Jahren nach Amsterdam gekommen sei und dort die Fischräucherei »Frank's Smoke House« aufgemacht habe, erst als Imbiß, mittlerweile beliefere er die größten Gourmetküchen. Frank sei sein Nachbar.

Um ein bißchen anzugeben, erzählte ich, daß wir in Berlin gleich um die Ecke des Kaffee Burger wohnen, wo jeden zweiten Samstag die Russendisko tobe, bei der Kaminer immer noch selbst auflege. Außerdem würden viele Bands, die auf der CD zu hören sind, in Berlin Konzerte geben.

In Amsterdam geht es anscheinend ähnlich zu: Frank räuchert seine Fische auch immer noch selbst. Die ganze Nachbarschaft ist eingeladen, dem Prozeß der Veredelung beizuwohnen.

Als die Petersburger Band La Minor zuletzt in Berlin spielte, drängelte ich mich an die Bühne und schrie ganz laut: »Das Mädchen im Baumwollkleid!« In diesem Song geht es um einen Perkussionisten, der in ein Mädchen verliebt ist, das er heiraten will, aber ihre Mutter ist dagegen, weil ein Musiker keinen gescheiten Beruf hat. Anders sähe es aus, wäre er Schlosser, Schweißer oder Polizist. Irgendwann ist er bereit, seine Instrumente zu verkaufen - Hauptsache, er wird von der Familie akzeptiert. Schließlich willigt die Mutter ein, der Kerl aber hat es sich inzwischen anders überlegt.

Weil ich bei jedem Berliner Konzert der Band in den vorderen Reihen tanze und nicht lockerlasse, bis sie wenigstens einmal mein Lieblingsstück auf Zugabe gesungen haben, spielten sie das Lied sofort. La Minor heißt übrigens A-Moll. Als eine andere Petersburger Gruppe, Leningrad, im Herbst ein Konzert im Tränenpalast gab, sangen alle deren Lieder mit. Wir schrien sie, bis unsere Stimmbänder nicht mehr mitmachten. Und weil jedes dritte Wort ein Schimpfwort ist, sprachen wir noch Wochen danach zur Erholung nur Hochrussisch.

Es gibt, glaube ich, nur einen einzigen Text, der durch die Zensur gehen
würde: »WWW«. Und eben dieses Lied ist auf der CD »Russendisko«. Es geht
so: »Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich umgezogen bin, wahrscheinlich war ich betrunken, meine Adresse heute ist wwwleningradspbpunktru«. Der Taxifahrer kann mit dem Fahrtziel nichts anfangen. Immerhin: Spb steht für St. Petersburg.

Meiner Tochter, die in Moskau lebt und in Berlin zu Besuch war, schaffte es hier, zum Autogrammsammeln hinter die Bühne zu gelangen. Noch im Tränenpalast rief sie per Funk ihre Freunde in Moskau an und sagte: »Ihr werdet nicht glauben, wo ich jetzt bin!« Sie verstand, wie vorteilhaft es ist, eine Russin in Berlin zu sein und verabredete sich an Ort und Stelle mit dem Pianisten der Band Spittfire, die oft mit Leningrad zusammen spielt. Am nächsten Tag saß der Bursche in unserer Küche, schlürfte Tee und erzählte von der Tournee.

Wenn die russische Band Markscheider Kunst nach Berlin kommt, und das tut sie oft, ist die Torstraße jedesmal wie leergefegt, weil alle Russen zum Konzert gepilgert sind. Ähnlich sieht es aus, wenn Leonid Soybelmann hier auftritt, der von den Freunden der russischen Rockmusik tief verehrt wird. Die Musiker von Rot-Front leben in Berlin - damit sind sie automatisch immer »unter uns«.

Die Ukrainer Vopli Vidopljasova (Vidoplyasovs Geschrei) hakten sich bereits vor Jahren in meiner Erinnerung fest. Es war an einem schönen Sommerabend in Moskau. Ich war zu Besuch und auf alles sehr neugierig. Ein Freund schlug vor, zum Olympischen Sportkomplex in einen Szeneclub zu gehen. Dort sollten die VVs spielen. Die Band ließ auf sich warten, was uns einiges kostete - ein Krug Bier sechs Dollar, damals noch sehr viel für Moskauer Verhältnisse. Nach ein paar Stunden Warten beschlossen wir, unser Geld woanders auszugeben.

Während meines nächsten Moskau-Urlaubs hörte ich aus einem Kiosk, an dem ich zum Frühschoppen das gute einheimische Bier genoß, auf einmal sehr flotte Tanzmusik, die alle schweren Gedanken vertrieb. Ich erkundigte mich beim Kioskbesitzer nach dem Namen der Band, aber er konnte ihn nicht richtig aussprechen. Der Trick ist: das Si in »Zdob Si Zdub« wird als ukrainisches Schi ausgesprochen. Ich kaufte mir später eine Musikkassette, die ich seitdem jedesmal in Berlin abspiele, wenn nichts mehr geht.

Mein Schwiegervater und ich sprachen dann noch eine Weile über Lachse, die in Schottland gefangen, in Holland von einem Amerikaner geräuchert und in Berlin verdrückt werden. Außerdem darüber, wie einfach man heute an russische Musik rankommt - man geht einfach in ein Geschäft. Danach verabschiedeten wir uns.

Ich lobte mich für den großartigen Einfall, meinem Schwiegervater das Buch und die CD zu schenken. Jetzt empfehle ich beides meinen russischen Freunden - für ihre nicht-russischen Verwandten. Das, sage ich, trägt zur
Völker- und Generationenverständigung bei, außerdem beschert es einem großzügige Gegengeschenke.

Meine Verwandten zum Beispiel können das Buch an lesefreudige Amsterdamer ausleihen oder beim Treffen mit dem amerikanischen Fischräucher-Nachbarn die CD zur Stimmungsaufbesserung abspielen. Und auch ich genoß die Geschenke aus Holland nicht allein, sondern ließ alle Freunde, die an diesem Tag vorbeikamen, davon kosten. Das meiste bekam eine Sängerin aus Neuseeland, die fast in jeder Russendisko die ganze Nacht durchtanzt.
 

*
last updated: 06.03.2003 | top
Z U R Ü C K