Der Klang des Geldes

Schwarzbrenner, Starkult, eigene Schuld: Zwei Bosse diskutieren die Probleme der Musikbranche

Die deutsche Niederlassung von Virgin Records kommt aus dem Teenie-Alter. Vor 20 Jahren startete die Plattenfirma in der Schwabinger Herzogstraße mit sechs Mitarbeitern. Heute gilt Virgin als einer der erfolgreichsten deutschen Tonträger-Firmen. Gefeiert wird am Samstag von 14 Uhr an beim "Könixxtreffen"-Open-Air auf dem Königsplatz. Mit dabei: Hubert von Goisern, Reamonn, Bryan Ferry und Peter Gabriel. Aber unter den Jubel mischen sich Sorgen. Der Musikbranche geht es schlecht wie nie. Einerseits, weil das Selberbrennen von CDs und Internet-Downloads das Geschäft vermiesen. Andererseits sind die Probleme hausgemacht. Darüber diskutiert Udo Lange, der die deutsche Virgin aufbaute und heute das Dachunternehmen EMI Recorded Music leitet, mit Achim Bergmann, dem Chef von Trikont - mit einer mehr als 30-jährigen Geschichte eine der ältesten unabhängigen Plattenfirmen, ebenfalls mit Sitz in München.

SZ: Sind Sie Kapitäne auf sinkenden Schiffen?
Bergmann: Ich bin eher Kapitän auf einem Fischkutter. Der ist wendig und kann praktisch nicht kentern. Trikont ist im Vergleich eine Klitsche.

SZ: Und Sie, Herr Lange, stehen Sie am Ruder eines Luxusdampfers - einer "Titanic" vielleicht?
Lange: Der Dampfer droht nicht unterzugehen. Aber er schlingert. Wir haben große Probleme, zum Beispiel das Internet und die Schwarzbrenner. Aber es gibt auch inhaltliche Schwierigkeiten. Vielleicht bietet die Industrie nicht immer das richtige Programm an, für das die Menschen auch bezahlen wollen. Trotzdem: Das Interesse an Musik ist ungebremst groß.
Bergmann: Da muss ich widersprechen. Das Interesse der Menschen ist sicher groß, weil Musik Teil ihres Lebens ist. Aber dieses Interesse wird zunehmend von der Industrie frustriert. Im Jahr 2000 haben 51 Prozent der Leute keine CDs gekauft. Lediglich 5,4 Prozent der Gesamtkäufer haben fast die Hälfte aller Tonträger gekauft - auch weniger als zuvor. Das heißt: Im Gegensatz zum großen Getue der Pop-Industrie reden wir von einer Mangelwirtschaft.

SZ: Woher kommt die Kauf-Unlust?
Bergmann: Meiner Meinung nach aus Protest. Den Menschen ist Musik nichts mehr wert - weil Musik entwertet wird. Unter anderem von Musikverlagen, die sich an IT-Unternehmen hängen. Vivendi kauft Universal, AOL kauft Warner - zum Zweck, irgendwelche Inhalte für ihre Dienstleistungen zu bekommen.
Lange: Virgin und die gesamte EMI-Gruppe stehen immer noch selbstständig da, können sich ihre Partner aussuchen und sich auf die Musik konzentrieren.
Bergmann: Unter den großen Labels war Virgin immer eines, das seine Produkte im Sinne eines guten alten Unternehmertums intensiv gepflegt hat. Trotzdem: Die Branche war die vergangenen Jahre blind. Erst jetzt wird von hausgemachten Problemen gesprochen. Gleichzeitig gibt es eine Diskussion darüber, wie man sich die Urheberrechte an Handy-Klingeltönen sichern kann. Das ist für mich die typischere Diskussion. Das Grundübel ist doch, dass ohne die veröffentlichende Industrie nichts geht. Das fängt schon mit einem Eminem an, sogar den kann man kaum irgendwo hören. Format-Radio und Fernsehen: Das sind Vorstellungen von alten Männern mit einem Zerrbild von Jugendkultur. Für junge Erwachsene ab 25 Jahren gibt es keine Abspielstation.

SZ: Herr Lange, sehen Sie das auch so?
Lange: Im Großen und Ganzen ja. Leute, die älter sind als 25 Jahre, erreichen wir schwer. Am einfachsten wäre es durch gescheite Fernsehprogramme, die es aber nicht gibt. Im Gegensatz zu früher bleiben uns nur Nischenprogramme. Den Leuten fehlt der Zugang zu guten neuen Sachen. Sie hören immer wieder die Stars, die sie aus ihrer Jugend kennen. Unsere Songwriterin Norah Jones ist ein aktuelles Beispiel. Wenn die einem großen Publikum nahe gelegt werden könnte, würde sie abgehen wie Schmittchens Katze.
Bergmann: Man muss als erstes den Sprachgebrauch ändern, den Sie auch noch haben. Sie sprechen von Nischen-Phänomenen. Dabei gibt es ja nur Nischen auf dem Markt. Bloß: Die Industrie verstopft alles. Es müssen Öffentlichkeiten her. Gebt uns gescheite Radio- und Fernsehprogramme - ich schwöre, wir verdoppeln unseren Umsatz. Populär- Musik will öffentlich genossen werden. Das fängt schon auf der Live-Ebene an. Da macht jetzt in München der Club 2 zu, einer der wichtigsten Clubs für Musikfans. Was ich will, ist das Freilassen und Zulassen von Musikinteressen und Kompetenz bei Händlern, bei Journalisten und Radio-DJs. Da sitzt doch eine Kontrollmafia drüber!
Lange: Erfolg lässt sich nicht verordnen. Künstler müssen langfristig aufgebaut werden. Das sind dann Interpreten, die lange auf dem Markt bleiben. Ganz im Gegensatz zu den gecasteten Acts.
Bergmann: Bitteschön, was ist der Markt? Eine Situation, in der Bertelsmann drei Milliarden Dollar für Zomba Records bezahlt. Das ist der gesamte Jahresumsatz der deutschen Tonträger-Produktion.
Lange: Virgin-Gründer Richard Branson hat mir für die deutsche Virgin am Anfang genau 200000 Mark überwiesen. Für alles, was ich brauchte, um diese Firma aufzubauen. Wir waren zu sechst und saßen an Tapeziertischen. Heute sind wir von den Major-Firmen die kleinste, von den Indie-Firmen die größte. Wenn ich mich damals um mehr Geld bemüht hätte, wären wir heute viel größer - oder nicht mehr da. Interessant ist, dass meine schönsten Erfolge meist Newcomer waren, die wir von klein an aufgebaut haben, nie die, bei denen ich mit dem großen Geldbeutel wedelte.

SZ: Bei manchen wird gleich mit einer ganzen Bank gewedelt. Robbie Williams soll 118 Millionen Euro für drei Alben bekommen. Machen sich Plattenfirmen zu abhängig vom Erfolg einzelner Stars?
Lange: Die Großen haben ihren Preis. Ich habe mich allerdings nie an der Gagentreiberei beteiligt, weil sie ungesund ist. Robbie Williams ist vielmehr ein gutes Beispiel dafür, dass man langfristig in einen Künstler investieren muss. Sein Erfolg nach Take That kam überhaupt nicht über Nacht.
Bergmann: Aber es geht doch längst schon darum, ob in zwei, drei Jahren überhaupt noch jemand bereit ist, Geld für Musik zu bezahlen.

SZ: Warum auch - wenn Musik im Internet umsonst zu haben ist?
Lange: Musik ist ein Kulturgut. Dafür sollten die Leute bereit sein, etwas zu zahlen.

SZ: Und wenn die Schulhofpiraten das nicht einsehen, wird dann der Kunde zum Gegner?
Lange: Ich kann es Kids ja nicht verübeln, dass sie sich Songs aus dem Internet herunterladen und ihr Geld für andere Sachen ausgeben - solange es diese Möglichkeit gibt. Deshalb denke ich auch an verbesserten Kopierschutz und schärfere Gesetze. Freiwillig sind die Leute bereit zu zahlen, wenn man ihnen inhaltlich das Richtige anbietet.

SZ: Was ist richtig?
Lange: Richtig ist erfolgreiche Musik von Bands, die kontinuierlich aufgebaut wurden. Das ist viel ehrlicher, als mit dem Marketing- Hammer zu hantieren. Es gibt Interpreten, die verbieten uns sogar, Fernsehwerbung zu machen.
Bergmann: Ringsgwandl ist einer, der sich immer dagegen gewehrt hat, auf eine bestimmte, kommerzielle Art vermarktet zu werden. Oder einer wie Hans Söllner. Der wird seit 20 Jahren nicht gesendet. Trotzdem ist er sehr erfolgreich, allein durch Mundpropaganda.
Lange: Es gibt viele Künstler, die Ecken und Kanten haben und gerade deshalb so erfolgreich sind. Auch Robbie Williams ist so einer. Anderes Beispiel: Manu Chao. Fernsehwerbung lehnt er total ab. Er hat für seinen Erfolg nie groß PR gemacht. Ich bin sehr stolz darauf und lege Wert darauf, dass wir als Unternehmen von einem Künstler auch mal weniger Platten verkaufen können. Aber dazu brauchen wir die Erfolge der Großen. Die Kleineren sind mir inhaltlich oft viel lieber.
Bergmann: Aber für 90 Prozent der Musik gibt es keine Öffentlichkeit. Seit dem Boom an Privatsendern hat sich die Zahl der gespielten Songs halbiert. Man muss ja nur mal Rocko Schamoni anschauen, den erst Trikont herausgebracht hat, dann Virgin. Ein hervorragender Mann. Warum holt den niemand von den bescheuerten Musiksendern und gibt ihm eine eigene Show? Das Fernsehen: Man hat das Gefühl, man schaut einem glamourmäßig verputzten Abfallhaufen zu. Lange: Hinzu kommt ein typisch deutsches Phänomen. Sobald jemand erfolgreich ist, sagen Medien und Fans: Der ist jetzt zu kommerziell. Im Atomic Café habe ich mal gehört, wie einer über Slut gesagt hat: "Seit die bei Virgin sind, ist alles ganz anders." Ein hanebüchener Blödsinn. Unsere Künstler dürfen sich frei entfalten.
Bergmann: Ich glaube eher, den Leuten geht auf den Wecker, dass manche Künstler in den Medien dauerpräsent sind, dass Alternativen fehlen.

SZ: Wie wichtig für Ihre Arbeit ist, was Ihnen persönlich auf den Wecker geht oder gefällt?
Bergmann: Bei Trikont machen wir sowieso nur, was wir wollen. Andererseits sind wir kein Wunschland des Alternativen. Wir können nicht so tun, als hätten wir eine Alternative zur Marktwirtschaft, die gibt es nämlich nicht. Wir können die Marktwirtschaft nur freier machen.
Lange: Wenn ich den Bezug zur Musik nicht hätte, würde ich den Job aufgeben. Mir ist wichtig, Künstler zu entdecken, die mir persönlich gefallen. Zum Beispiel wollte ich unbedingt Skunk Anansie haben - was viele meiner Kollegen anfangs nicht verstanden. Aber es war ein Erfolg. Den brauche ich zur Bestätigung meines Egos. Wenn eine Platte nicht funktioniert, tut mir das weh. Nicht wegen des Geldes. Sondern, weil ich es nicht geschafft habe, einen Künstler durchzusetzen. Ich möchte, dass Künstler ihr Ding machen.

SZ: Hatten Sie nie Lust auf die schnelle Mark mit Retorten-Bands?
Lange: Wer von vornherein nur an den kommerziellen Erfolg denkt, wird ihn langfristig nie haben. Gecastete Bands sind gemacht worden, um Geld zu verdienen, nicht, um ein Stück Kulturgut zu schaffen, das lange Jahre bleibt.

SZ: Bitte ein Schlusswort: Was ist Musik?
Bergmann: Populär-Musik ist die Spiegelung des Lebens und von Lebensgefühlen, wie es sich, ausgehend vom Amerika des vergangenen Jahrhunderts, die Massen erkämpft haben.
Lange: Was man bei all der Arbeit und dem Problemwälzen nie vergessen darf: Musik ist auch Genuss.
Moderation: Jochen Temsch
 

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last updated: 15.09.2002 | top