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  Wie
überleben 68er, in Zeiten der Realpolitik? |
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Anpassung? Ideologieverschanzung?
Frühstück beim Trikont-Label in München-Giesing. Eva Mair-Haussmann lacht
sich kaputt über die Osbournes, Achim Bergmann findet Politikverdrossenheit
verständlich. Langweilig sei es schon. Leider stehen bekanntlich die Chancen
gut, dass es noch fader wird. Trikont-Star Hans Söllner hätte das wahrscheinlich
weniger nett ausgedrückt.
An der einen
Wand von Achim Bergmanns Büro hängen Plattencover wie Trophäen: Ringsgwandl,
gelb im Gesicht. Ein Pflug in der Wintersonne - ein Attwenger-Cover. "Down
& Out", eine Reise zum sumpfigen Soul der Südstaaten. Trikont-Sampler,
das sind musikalische Expeditionen. Entdeckungen aber kann nur machen,
wer Strapazen auf sich nimmt. Auch die härteste musikalische Zumutung
haben die Trikont-Leute selber getestet, durchlitten, liebgewonnen. Bergmann
erzählt über die Texas-Bohemia-Compilations: "Selbst in meinem Ohr hat
das erst mal gekreischt." Die Sampler werden gemacht von: "Individuen,
die sich auf eine tolle Art und Weise in Musik hineinbohren." Nach kurzem
Überlegen kann Bergmann sogar einen roten Faden in den Veröffentlichungen
ausmachen. Nämlich, "dass man Pop-Musik im Umfeld von Populärmusik sucht
und einfach behauptet: Das hat eine eigene und schöne, bedeutungsvolle
Geschichte."
Bergmann und
Mair-Haussmann sind sich sicher, dass es gute Radiosendungen sind, die
sie da veröffentlichen. Radiosendungen, die das Radio nicht mehr sendet.
Das momentane Konzept der Unterhaltungsindustrie formuliert Bergmann so:
"Es ist so wie die Radioprogramme, die nicht darüber laufen, dass sie
sich definieren: Du sollst einschalten!, sondern: Du sollst nicht ausschalten!
Dauerbesudlung also. Wobei Bergmann nichts gegen Menschen hat, die Britney
Spears mögen. Was ihn abstößt ist das Zuschneiden künstlerischen Potentials
auf einen traurigen Stumpf. Computer ersetzen DJs: "Diese vielen Stationen
die heute da sind spielen nur noch die Hälfte der Titel. Der Rest, den
es dann noch musikalisch gibt, der soll dann in die anderthalb Stunden
Zündfunk."
Musikalische
Verarmung sieht Bergmann auch in der Plattenindustrie. "Die Einkäufer
in so einer Krisensituation kaufen als erstes nicht mehr das Back-Programm.
Da ist ihnen der Abfluss zu langsam. Davon lebt aber eine Firma, die auf
Qualität Wert legt." Absurde Kurzfristigkeit ist das für den Trikont-Chef,
eine Selbstabschaffung. Die Branche legt und kontrolliert den Zugang zu
einem Allgemeinbedürfnis wie Musik. Und nach Bergmanns Ansicht verbaut
sie ihn damit. "Kolonialisierung" nennt er das, wofür die großen Companies
auch noch Geld verlangen: die Belieferung sogenannter Massen mit sogenanntem
Massengeschmack. Ein wenig klingt das, als wünsche er sich den vagabundierenden
Künstlers, dem die Zuhörer nach eigenem Ermessen Geld in den Hut werfen.
"Trikont ist erheblich mobiler und kann mit einem unglaublich viel geringeren
Kostenfaktor arbeiten und dass, was in der Zukunft zählen wird anbieten,
nämlich Intensität."
Momentan hat Trikont vier Mitarbeiter, inklusive Bergmann. Die sind, erzählt
er, momentan "total chaotisiert und gestresst". Die Krise, auch an Trikont
geht sie nicht vorbei, aber: "Wir können gar nicht tief fallen, weil wir
nie so hoch gestiegen sind", beruhigt sich Bergmann. So geht das seit
über dreißig Jahren, als Trikont noch Plattenlabel, Verlag und eine Stimme
der linken Bewegung war. Übriggeblieben ist das Label und Achim Bergmann,
der zwar kritisch denkt, dem Ideologien aber suspekt sind. "Du willst
Qualität in deinem Leben? Jetzt versuch mal das durchzusetzen, versuch
mal dein Leben so zu organisieren."
Achim Bergmann glaubt nicht, dass man der industriellen Maschine, die
immer eine Lösung für uns parat hat, so einfach entfliehen kann. Mit den
Platten seines Labels ist es wenigstens für Stunden möglich. Demnächst
erscheint "Black & Proud", Musik der Black Panther Bewegung und ein Sampler
über Russendisko, Musik aus den wilden Wäldern des Kapitalismus. Trikont
einschalten und Ohren auf Sendung!
(Abendzeitung, 11.10.02: Christian Jooß)
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