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Nach dem legendären "Tule Tanssimaan" nun: Finnisch-argentinische Symbiose Sanna Pietiäinen und M.A. Numinnen beweisen mit dieser außergewöhnlichen Tango-CD, dass auch kühlen Nordlichtern der Stolz und die Melancholie des argentinischen Tanzes innewohnt. Finnischer Tango Finnisch und Tango?
Das muss schmecken wie Fischstäbchen mit Chili, wie Grütze mit
Caipirinha
. Wieder einmal hat
TRIKONT ein gleichermaßen außergewöhnliches wie interessantes
Album herausgebracht. Mit Akkordeon, Geige,
Kontrabass und Piano begleiten die Mitglieder von "M.A. Numminens
Neurustikalem Jazz-Orchester" den vor Emotionen nur so sprühenden
Gesang. Aber warum eigentlich ein Jazzorchester für Tangomusik? Der finnische Filmemacher
Aki Kaurismäki sagte einmal: Hach, ist das melancholisch-schön.
Sinnlich-schaurig. Und traurig! Gehaltvolle Titel
wie "Die gefährlichen Lippen", "Feuerflamme"
oder "Du, Vollmond" verheißen dunkle Geschichten von Liebe,
Stolz und Schmerz. Zwar werden wohl die wenigsten der HörerInnen
aufgrund mangelnder Finnischkenntnisse die Liedtexte verstehen. Doch die
leidenschaftlichen Steigerungen, das Anschwellen der Stimmen zu seufzenden
Klängen brauchen keine Übersetzung. Sie reichen aus, um uns
wohlige Schauer über den Rücken rieseln zu lassen und die Leidenschaft
zum Tango auch in uns entflammen zu lassen. "Meine Beziehung zum Tango?" Numminen bestellt ein weiteres Glas Rotwein. "Meine Tangogeschichte ist etwas anders als die anderer Leute." Nach seinen Anfängen in Unta Mononens Orchester erwachte sein Interesse am Tango erst Jahre später wieder, als der angehende Wissenschaftler im Tango, "unserer Nationalmusik", ein ideales Objekt für soziologische Untersuchungen erkannte. Im Rahmen seiner Studien mußte der Akademiker Numminen anerkennen, "dass die Melodien gewisser unserer Tangos wunderschön sind", und er wurde zum Liebhaber. Mehr noch: Er begann
selber Tangos zu singen - und machte sich unbeliebt. Denn wo der Tangosänger
mit voluminösem Organ traurig triefende Gefühlsdramen inszeniert,
bricht Numminen alles Pathos mit seinem, jeglicher Melodiosität widerstehenden
Falsett und der Beschreibung prosaischer Alltagsmomente. Sein berühmtester
Tango "Ich mit meiner Braut im Parlamentspark", dessen Musik
Unto Mononen eigens für ihn komponiert hat, wurde verboten. Schließlich
brach M.A.Numminen mit Zeilen wie "Linke Volksvertreter gingen nur
auf der linken Weghälfte. Meine Braut sagte: Gib mir doch noch ein
Schlückchen milden siebziger Rotwein! Und ich gab ihr. Genaugenommen
waren wir beide nicht mehr ganz nüchtern" gleich zwei Tabus:
Er verspottete, so wurde ihm vorgeworfen, die Parlamentarier und verherrliche
den damals strengstens verbotenen Alkoholkonsum im öffentlichen Raum.
Ist das so? Numminen lächelt.
"Möchten
wir nicht wieder in unsere Welt zurückkehren?" M.A.Numminen,
im tadellos sitzenden schwarzen Anzug, ein Glas Rotwein in der Hand, lächelt.
Gütig und ausdauernd. Es ist Freitag abend, wir stehen an der Bar
des üppig mit Plüsch und Falschgold ausstaffierten Tanzcafès
Maestro. Auf der Bühne spielt ein Trio alte Schlager und finnische
Tangos, zu denen sich Dutzende hübsch herausgeputzte Paare aller
Altersschichten drehen. Das Cafè Maestro, hatte Numminen zuvor
erklärt, sei das größte Tanzcafè in Helsinki und
ziehe vor allem Menschen aus der Mittelschicht an. Diese Tanzcafès
sind täglich geöffnet. Nachmittags ist der Eintritt frei, und
die Gäste tanzen zu Musik vom Plattenteller; abends sorgen Bands
und Orchester für Stimmung. "Der Finntango
ist auch in Helsinki sehr präsent, obschon die Medien ihn ignorieren." Rahmen des Finntango
bei weitem: Seit gut 35 Jahren mischt der Musiker mit der ewigen Mop-Frisur,
eine Kreuzung aus Bajazzo und Terrorist, die Kulturszene auf. Er spielt
respekt- und bedenkenlos mit Versatzstücken der Hoch-, Pop- und Volkskultur,
tummelt sich geschäftig in Musik, Literatur, Film, Soziologie und
Philosophie. Von Tangosongs über windschiefe Verdi-Arien und Punkrock
bis hin zu neorustikalem Jazz und Techno hat er mit seiner krächzenden
Falsettstimme so ziemlich alles gesungen und interpretiert, was die Musikgeschichte
kennt und bisweilen fürchtet. Die meisten seiner Lieder waren mindestens
zeitweise verboten - gleichzeitig machte er jedoch Fernsehsendungen für
Kinder, die bis heute Kultstatus genießen. Er ist ungeheuer populär
- und doch klar Underground. Er ist landesweit beliebt - und ebenso umstritten. (Auszüge aus einem Artikel in der Titanic/Jan.03 von Christian Gasser) |
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last updated: 10.11.2005 | top |