|
|
|
 
Die Stimme der Vorstädte |
|
Das
Trikont-Label widmet Münchner Volkssängern eine äußerst liebevoll zusammengestellte
CD-Reihe
Georg Ringsgwandl
spielt seit zwei Monaten jeden Abend vor ausverkauftem Haus im Deutschen
Theater, ein paar Häuser weiter ist Gerhard Polt auch schon seit Wochen
zugange, und Erkan & Stefan gehen mit ihrem Programm im Schlachthof nun
bald ins zweite Jahr. München ist eben vergnügungssüchtig, und so können
derzeit an die 2000 Einwohner der Stadt davon leben, dass sie Kabarett
und Comedy aller Art machen.
Klingt etwas unglaubwürdig, nicht? So sähe es aber aus, wenn man die Verhältnisse
von vor hundert Jahren auf heute hochrechnete. Um 1900 herum waren in
München rund 800 Menschen als Volkssänger gemeldet, bei einer Einwohnerzahl
von knapp 500 000. Singspielhallen und Varietés, in denen sie auftreten
konnten, gab es überall in der Stadt, und der Bedarf an Komikern, Vortragskünstlern
und Artisten war entsprechend groß. Zu den Stars unter ihnen zählten das
Komikerduo Junker & Hönle, ein Komödiant mit der Klarinette, der auf den
schönen Namen Hans Blädel hörte, oder auch Papa Geis mit seiner Singspielgruppe
im vornehmen Café Oberpollinger. Volkssänger war in der Stadt ein durchaus
ehrenwerter Beruf; in den rund 2000 Gaststätten und Wirtshäusern mangelte
es nicht an Auftrittsmöglichkeiten, es gab einen richtigen Münchner Volkssänger-Verband
mit einer eigenen Zeitung, mit Krankenversicherung und Künstlerbörse.
Warum weiß man heute so wenig aus dieser frühen Hoch-Zeit des Entertainments
in München? Wen kennt man noch aus der Garde der Volkssänger? Hauptsächlich
jene, die ein bisschen später kamen: Karl Valentin, Weiß Ferdl, Liesl
Karlstadt. Andreas Koll und Achim Bergmann vom Münchner Plattenlabel Trikont
fanden das jedenfalls irgendwann bedauerlich. Und so beschlossen sie,
die alten Juwelen, die sie vor allem bei den Münchner Schellack-Sammlern
Josef Kaiser und Werner Vornehm gefunden hatten, wieder aufzumöbeln. Bergmann
hatte schon 1994 zusammen mit Hans-Peter Falkner unter dem Titel "Rare
Schellacks" vier CDs herausgebracht, auf denen nicht nur Volksmusik aus
Bayern, Oberösterreich-Salzburg und Wien versammelt war, sondern eben
auch ein Querschnitt der Münchner Volkssängerzunft aus den Jahren 1902
bis 1948 zu Gehör kam. Fünf Jahre später legte Trikont noch einmal vier
Platten voller "rarer Schellacks" nach, mit Szenen, Liedern und Couplets
aus Wien, München, Bayern und Sachsen.
Die Reihe scheint einen festen Liebhaberstamm gefunden zu haben. Denn
jetzt geht Trikont ins Detail und bringt vier CDs auf den Markt, jede
einem anderen Star aus der Münchner Volkssängerzunft gewidmet: Liesl Karlstadt,
Weiß Ferdl (ihm sogar eine Doppel-CD), Hans Blädel und dem Duo Junker
& Hönle. Das verlangt verlegerischen Mut, zumindest bei den letzten zwei
genannten Interpreten - die kennt ja schließlich keiner (mehr). Auch davon
abgesehen sind alte Schellacks eine sperrige Ware. Wenn man ehrlich ist,
hört man sich die bestenfalls ein paar Mal an, bevor sie für immer in
den Plattenschrank wandern.
Das aber wäre in diesem Fall schade. Nicht nur, weil die vier Platten
mit viel Liebe und großer Sorgfalt zusammengestellt wurden. Es findet
sich eine ganze Menge nahezu unbekannter Nummern, gerade auch bei der
Karlstadt und beim Weiß Ferdl, zwei Komikern, die man ja nun, sofern man
im Bayerischen aufgewachsen ist, dank des hiesigen Rundfunks in- und auswendig
zu kennen glaubt. Zudem hat Trikont den CDs auch noch ausführliche Begleithefte
beigelegt, in diesem Fall von den Experten Monika Dimpfl (Liesl Karlstadt)
und Christian Springer (Weiß Ferdl), die auch die schillernden Seiten
der beiden nicht aussparen. Die ganze Karlstadt lernt man auf diese Weise
kennen, die gar nicht so komische Künstlerin, die immer im Schatten von
Karl Valentin stand, und Weiß Ferdl, den politischen Opportunisten und
Chauvinisten, der eigentlich wohl ein Spießbürger im Narrenkostüm gewesen
ist. Die viel besungene Münchner "Gmiatlichkeit", die angeblich niemals
ausstirbt, so lang der Alte Peter noch steht - sie hatte halt doch auch
verdammt schattige Seiten.
Warum das so ist, kann man aus dieser Reihe ganz gut erahnen, am besten
wohl aus den Beispielen von Hans Blädel sowie von August Junker und Alois
Hönle. Die frühesten Aufnahmen stammen aus der Zeit um die Wende zum 20.
Jahrhundert. München war damals schon "Boomtown"; die Stadt wuchs in Atem
beraubendem Tempo, allein in den 30 Jahren zwischen 1870 und 1900 hatte
sich die Einwohnerzahl verdreifacht. Die meisten der Hinzugezogenen verdingten
sich als Tagelöhner auf dem Bau, als Mörtelweiber und Pflasterer, oder
als Arbeiter in den neuen Fabriken; sie wohnten in den Vorstädten in miserablen
Unterkünften, bis zu acht Personen auf sechs Quadratmetern, die Betten
mussten dann tagsüber auch noch an so genannte "Schlafgänger" vermietet
werden. Schöne, glanzvolle Prinzregentenzeit . . .
So war das Bedürfnis nach Ablenkung und Zerstreuung groß. Die Volkssänger
erfüllten dieses Bedürfnis, sangen Couplets über das Leben in der Stadt,
über die kleinen Gauner und die damischen Bauern. Junker & Hönle zum Beispiel
erfanden die schlitzohrigen Maurer "Kare und Luggi", bis heute Prototypen
des bayerischen Witzes. Es gab Klamauk der derberen Sorte, gelegentlich
mal etwas feinsinnigere Scherze, aber auch grobe Beschimpfungen, besonders
wenn es etwa um die Juden ging oder die Preußen. Die Politik kam schon
vor, meistens der Zensur wegen in verklausulierter Form, aus der Sicht
des kleinen Mannes.
Die Volkssänger waren eben vor allem auch die Stimme des Volkes, im Guten
wie im Schlechten - die Münchner Stefan Raabs zu Beginn des 20. Jahrhunderts,
und manchmal vielleicht auch die Münchner Harald Schmidts dieser Zeit.
Man mag sie heute skurril und jenseitig finden, aber immerhin gab es in
ihren Reihen einmal einen Karl Valentin, den man längst als Dadaisten
zum Kanon der deutschen Literatur zählen darf. Das lässt zumindest die
Hoffnung zu, es möge auch dem Nachruhm der heutigen Volkssänger vielleicht
nicht schaden, dass sie eben "nur" Unterhaltung machen.
(Süddeutsche Zeitung - Samstag, 17. März 2001 - FRANZ KOTTEDER)
|