Daniel Johnston CD

Die großen Einsamen, Sonderlinge, Fragilen - einerseits wollen sie berichten von dem, was sie und nur sie quält und verfolgt, andererseits ist da diese Begabung, die einzige Chance, andere zu erreichen. Was mache ich damit? Bringe ich meine Dämonen zum Sprechen oder singe ich nicht von dem, was mich quält, sondern von dem, was ich ersehne, so wie andere auch, Liebe zum Beispiel.
     
Die Entscheidung zwischen diesen zwei Möglichkeiten birgt ja auch viele formale Konsequenzen. Wenn ich denn doch wirklich durchkommen will zu den anderen, mit Liebesliedern, dann müssen es auch richtige „Lieder" sein, nicht einfach Protokolle oder Kunstwerke. Man denkt da an John Meek oder Brian Wilson, die zwischen diesen Polen gearbeitet haben, mal überschwenglich in der Musik versucht, was im Leben nicht klappte, die anderen umarmen, dann wieder genau diesen Zustand der Gefangenschaft mit einer verbotenen Homosexualität Oder einem unpassenden Körper bis in die Kapillare verfolgen und in diesem Solipsismus die Matrix der eigenen Kunst finden und ausbauen, so begehren müssen, statt ich ihre Normalität- Ich kann sie natürlich nie reinlassen.
     
Auch Daniel Johnston, das viel gefeierte und oft bedauerte Wunderkind einer Spät-80er-Idosynkrasien-Begeisterung, als die Kramers, Jad Fairs und Turston Moores dieser Welt ihn hochleben ließen, hat zwischen beiden Polen geschwankt. Doch anders als bei Brian Wilson, der seine Einmaligkeit einem nie entschiedenen Pendeln, dem Zwang, immer beides durcharbeiten zu müssen, verdankt, und natürlich auch der Möglichkeit als immerhin noch Superstar, seine Exzentrik ja auch zu leben und gelegentlich zu verschwinden, unter welchen Schmerzen auch immer, hat Johnston sich trotz aller enormen Schwierigkeiten, die ihn wohl noch heute durch Anstalten und Anfälle begleitet, entschieden, so weit es ihm möglich ist, populär zu sein. Die Live-Platte von seinem sagenumwobenen Auftritt in der Berliner Volksbühne ist sicher die straighteste und verständlichste, die er je gemacht hat.
     
Selbst in den Momenten, wo die Stimme mal versagt, die Gitarren- oder Klavierbegleitung aus dem Takt gerät, bleibt der Song immer intakt. Mit allen Fasern seines Körpers und seiner Struktur drängt er zum nächsten formerhaltenden Akkord. Zwanzig absolut zwingende, fast schon professionell rührende Lieder auf dieser Platte, die durchgearbeitet und in einem guten Sinne konventionell, ja kalkuliert sind, die er selbst geschrieben hat, hat er an diesem Sommerabend in der Volksbühne inmitten des Kosovo-Krieges aufgeführt. Dazu eine Kooperation und „Live And Let Die" von Paul McCartney, von dem er ja auch schon „Got To Get You Into My Life" mal gecovert hat.
     
Fast alle Songs handeln von Liebe, dem was alle kennen, oder von ihrer Abwesenheit. Gerade der gewinnt er einen neuen Aspekt ab: dass man nämlich die Liebe hasst, wenn man keine hat. Genau, wo doch die Liebe nichts dafür kann. Aber er hat eben genau den Terror, den die Nichtliebe durch den ewigen Himweis auf die unmögliche Norm einer Standard-Liebe ausübt, benannt - ohne dass dieser Terror irgendwas mit Liebe zu tun hätte, aber alles mit Gesellschaft, die mit der Ideologie der Liebe Normalität durchsetzt. Bei Johnston bleibt aber trotz all der Lieder von der Einsamkeit, die dadurch viel schlimmer ist, weil die anderen immer Nichteinsamkeit performen, dennoch die Idee der Liebe intakt und wird von dieser Terrorfunktion geschieden. Dafür genau bedarf es der Form dieser konventionell schönen, urromantischen Lieder. Nur die haben formgeschichtlich genug Iisierungen und Befreiungen von Gefühlen zu tun gehabt, um jetzt Johnston die richtige Sprache sein zu können. Ich-Code. Wem der kaputt geht, wie Johnston immer wieder, wird wohl ermessen können, dass es nichts Besseres zur Heilung gibt als romantische Lieder mit ihren Regeln für ein erprobtes Verhältnis von Intimität und Distanz. Johnstons Geschichte macht der Gegenstand dieser Lieder nicht „echter", aber seiner Bearbeitung, oft gekonnt-traditionelle Songwriter-Bearbeitung von Liebe/Nichtliebe kommt er durch sein - dem Vernehmen nach - erschwertes Verhältnis zur Alltagskommunikation so eine andere Dringlichkeit zu, durch die die Songs noch besser werden. Lieblingslieder: „Nothing", „Tuesday Waltz", todtraurig, aber nicht depressiv.
(Spex
- Diedrich Diederichsen)
 
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last updated: 11.06.2000 | top