Daniel Johnston CD

Der Erfolgsvermeider

Daniel Johnston ist dick, depressiv und der größte real existierende Antiheld der Popkultur - Von Thomas Gross


     Am Abend des Tages, als er auf MTV lief, fand Daniel Johnston sich im Austin State Hospital wieder. Er hatte seinen langjährigen Manager angegriffen, verwirrt durch halluzinogene Drogen und heimgesucht von Paranoia. Sie hätten das Wort nicht gebrauchen sollen. Wer Johnstons Leben mit Glamour bedroht, ihn öffentlich einen anrührenden Songwriter, großen Performer oder genius of love nennt, wer dafür sorgt, dass Anerkennung ins Haus steht, muss damit rechnen, dass der Held in irgendeinem Winkel seines privaten Universums Amok läuft.
     So war es in den Achtzigern, als Hi, how are you, eine selbst produzierte Kassette, die er an Passanten verteilte, ihm lokalen Kultstatus bescherte. So war es auch, als Kurt Cobain 1992 bei der Verleihung der MTV-Awards ein Hi, how are you-T-Shirt trug - und damit die internationale Daniel-Johnston-Verehrung begründete. Sie hat geholfen oder, je nach Perspektive, eben auch nicht, denn mehr noch als ein verträumter Erfolgssucher ist Johnston ein begnadeter Erfolgsvermeider, ja Erfolgszertrümmerer; seine Karriere ähnelt einer endlosen Folge von Aufschwüngen und Zusammenbrüchen. Doch während Cobain lange tot ist, gibt es ihn noch, und die Gemeinde wächst in diversesten Weltgegenden. So seltsam es klingen mag: Der größte real existierende Antiheld der populären Musik ist ein manisch-depressiver, von Medikamenten und Coca-Cola aufgeschwemmter Mann aus der Nähe von Austin, Texas, der mit Ende 30 immer noch bei seinen Eltern wohnt.
      Why me? heißt der just erschienene Mitschnitt des Konzerts, das Daniel Johnston anno 99 in der Berliner Volksbühne gegeben hat. Man kann die Rätselfrage, vom Künstler selbst ins Booklet gekritzelt, nach verschiedenen Richtungen auffalten. Zunächst einmal ist seine Erscheinungsweise in einem strikten altmodischen Sinne unkommerziell. In Zeiten, in denen Talentscouts in die hintersten Winkel des Pop vordringen, noch die geringsten Äußerungsformen von Kreativität abgeschöpft werden, um kurze Zeit später in pasteurisierter Form auf den Verbraucher zurückzuprallen, hat Johnston es geschafft, klandestin zu bleiben. Sein Werk ist schon dadurch vor unberufenem Zugriff geschützt, dass es in marktgängiger Form praktisch nicht vorliegt. Zwei, drei Titel sind im sehr gut sortierten Fachhandel erhältlich, eine fertige neue CD namens Rejected Unknown (sic!) ist in Auszügen im Internet anhörbar, der Rest muss, vom Volksbühnenkonzert abgesehen, mehr oder weniger vom Erzeuger direkt bezogen werden.
      Auch so genannte Produzenten, die ihm einen üppigeren Sound verpassen wollten, hat der "Sorry Entertainer" (Johnston über Johnston) am Ende stets vor den Kopf gestoßen. Kim Fowley, selbst ein legendärer Typ, allerdings ganz anderer Machart, der versprach, ihn ganz groß rauszubringen, weckte bloß Daniels Argwohn vor Saxofonen und anderen Boten der Überproduktion; der Künstler kehrte fluchtartig zu seinen in extraschlechter Qualität aufgenommenen Songtrümmern zurück. Fun, das mit Studiomusikern eingespielte Großwerk von 1994, sollte auf einem Major Label erscheinen, doch hinter den Kulissen lief bereits wieder die übliche Tragödie:
Nervenzusammenbrüche, Krieg der Welten, Erfolgsparanoia. Schließlich hatte die Firma die Nase voll - und Johnston wenigstens wieder die Kontrolle über sein Produkt.
      Lo-Fi ist diese Ästhetik genannt worden, in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts galt sie als Waffe gegen das globale Packeis der Kulturindustrie. Doch Johnstons Vorgehen folgt auch keinen strategischen Überlegungen, wie sie die Jungs von der Popdissidenz regelmäßig aushecken. Sein Publikum verehrt ihn gerade für die ungeschützte Art, mit der er von frühen Verletzungen singt. I hate myself, Frustrated Artist, Nothing, Death - bereits die Titel lassen wenig zu hoffen übrig. Der Vortrag vollendet das Drama: ein dünnes, seltsam geschlechtsloses, wie mutiertes Singen aus einem ewigen Kinderzimmer. In Daniel Johnstons Welt haben die Gefühle noch überdimensionale Ausmaße. Gott, Walt Disney und die Beatles sind gleichermaßen Einflüsse. Gut und Böse ringen erbittert um eine arme Seele. Gelegentlich meint man, im Hintergrund der Melodien ein Kirchenlied herauszuhören. Nichts aber lässt sich säuberlich voneinander trennen in diesen Zeugnissen eines großen Naiven und Liebenden.
      "Love is like a toy, suddenly broken" - darum geht es letztlich immer, vielleicht bloß einmal variiert in "I had a welcome mat, but you never came around" oder, knapp und prägnant: "silly love". Er möge nicht immer diese depressiven Lieder singen, hört man seine gottesfürchtige Mutter auf einer Kassette von 1982 schimpfen: "I'd like to see you do something more fun!" Und Daniel, sich der Erziehungsmaßnahme entziehend, antwortet, er meine es gar nicht so, es ströme eben manchmal so aus ihm heraus. Allerdings ist von ihm auch der Satz überliefert: "If I can't be a lover then I'll be a pest.
      "Es liegt auf der Hand, dass formale wie inhaltliche Fortschritte in dieser Konstellation nicht greifen. Anders als etwa Brian Wilson von den Beach Boys, der sein Versagen als Sohn und Surfer in elaborierten Kompositionen mit bis zu fünf Gesangsstimmen sublimierte, ist Daniel bei einer rudimentären Gitarren- wie Pianotechnik geblieben. Seine Sache ist das Archaische. Es gibt keine Differenz zwischen dem Sänger und dem Song. Gestern und heute sind auch nur Wörter. Wie alle Melancholiker hält Johnston an unwiederbringlich verlorenen Objekten fest, einer gewissen Laurie etwa, dem all-American girl, das einst die Werbung des jungen Daniel zurückwies und einen Bestattungsunternehmer heiratete - weshalb funeral homes wie Lauries in unzähligen Varianten den mittlerweile 300 Titel umfassenden Johnstonschen Songkorpus durchgeistern.
      Einen ganzen Abend lang teilzuhaben an diesen gesammelten Downheiten hat etwas ebenso Peinigendes wie Erhebendes. Dabeigewesene berichten von einem durchdringenden Gefühl, etwas Indiskretes zu tun. taz-Autor Detlef Kuhlbrodt, der die Liner-Notes für Why me? schrieb, fühlte sich an einen jener pophistorischen Momente erinnert, die man sonst "grundsätzlich verpasst wie Woodstock". Noch nachträglich raubt die Aufnahme einem den Atem, wenngleich während der ersten Stücke das Mikrofon ausfällt und Johnston sich an Moderationen versucht ("How are you doin' here in Germany?"), um nach quälenden Sekunden wieder in den Set zurückzufinden, mit leiser, lispelnder Stimme, als würde allzu große Lautstärke ihn selbst am meisten erschrecken.Dass tatsächlich ein Schauder von seiner Gestalt ausgeht - man kann es am Applaus hören, den die Zeugen des Daniel in der Volksbühne, dem Ort subkultureller Restverkultung, spendeten. Es ist nicht dieses frenetische Akklamieren und Mit-den-Füßen-Stampfen, das von den Rängen kommt, wenn Schlingensief es mal wieder geschafft hat oder Frank Castorf seine Schauspieler auf Kartoffelsalat ausrutschen lässt. Es ist ein gleichsam aristotelischer Applaus, in den sich die Erleichterung mischt, bei aller Begeisterung nicht selbst dieser Mensch da oben sein zu müssen.
      Ein Stück spielte Johnston nicht in Berlin: "Well you heard about the time / I was in the insane asylum / and you read the magazines / I've been wounded by folklore / but you never knew what I went through / and what I had to do / just to bring you a lonely song". Dafür versprach er den Erschütterten im vollen Ernst, das nächste Mal ein besseres Konzert zu geben.  
(Die Zeit - 25.05.2000)
 
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last updated: 11.06.2000 | top